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Als Zwölfjähriger vor den Nazis aus Rostock geflohen

Meldung vom 27.01.2024

Albrecht Josephy-Hablützel (1926 - 2024) ist vor wenigen Tagen in der Schweiz verstorben. Als Zwölfjähriger musste er 1938 aus seiner Heimatstadt Rostock vor der nationalsozialistischen Diktatur ins Exil flüchten. Seine bewegende Lebensgeschichte erzählte er oft im Rostocker Max-Samuel-Haus und engagierte sich für dessen Stiftung.

Erst 1993 hatte er seine alte Heimat zum ersten Mal bereist. „Ich will die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass ich lange Zeit ein gebrochenes Verhältnis zu Deutschland, dem Vaterland meines Vaters und meiner Mutter, hatte – zerbrochenes Vertrauen, hervorgerufen durch das ‘von oben’ diktierte Gehabe von Nachbarn und Bekannten, von Spiel- und Schulkameraden, von Lehrern, abgesehen von eher wenigen Ausnahmen […]. Ein Kreis von motivierten, offenen und aktiven Menschen in Rostock erleichterte den Prozess des Wiederkommens, des Anknüpfens, des Wiedererkennens – und zwar im Garten des Max-Samuel-Hauses”, formulierte er. 

2018 trug er sich in das Gästebuch der Hanse- und Universitätsstadt Rostock ein.   

(Josephy-Hablützel, Albrecht: Wiederbegegnung mit Deutschland – Wiederbegegnung mit Rostock – Wiederbegegnung mit dem Haus, in welchem die Familie von Max Samuel, eines guten Freundes meines Vaters, wohnte -, in: Max-Samuel-Haus, Stiftung Begegnungsstätte für Jüdische Geschichte und Kultur (Hrsg.): Blätter aus dem Max-Samuel-Haus, Rostock September 2001, Nr. 20 – Sonderausgabe 10 Jahre Max-Samuel-Haus)

Jan-Peter Schulze, Freund Albrecht Josephys und Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des Max-Samuel-Hauses e.V., erinnert an einen beeindruckenden Menschen:

Ein sonniger Julitag im Jahr 2014, ich bin mit Albrecht in der Steintor-Vorstadt unterwegs. Das Haus in dem er aufgewachsen ist, gibt es nicht mehr. Graf-Schack-Straße 8, im Krieg zerstört. „Mein Vater Richard Josephy hat das Haus im Jahr 1927 gekauft und nach seinen Vorstellungen umbauen lassen. An der Seite wurde ein großes Fenster eingesetzt, hinter dem meine Mutter ihre Kakteen zog.“ 

Über seine Familie erzählt er: „Mein Vater lebte seinen jüdischen Glauben nicht, ging kaum in die Synagoge, engagierte sich jedoch stark für die Belange der Jüdischen Gemeinde in Rostock und in Mecklenburg. Die Frage der unterschiedlichen Religionen des Vaters und der Mutter spielten in unserem täglichen Leben keine Rolle. Wir Kinder gingen in die Christenlehre, 1932 wurde ich in der Nikolaikirche getauft. Wir hatten einen engen Kontakt zu unseren Eltern. Ich kann mich an gemeinsame Ausflüge nach Warnemünde, mit der Eisenbahn nach Pölchow oder in die Rostocker Heide erinnern. Auch Fahrradtouren habe ich mit meinem Vater unternommen, nach dem er mir mit acht oder neun Jahren das Radfahren auf der Reiferbahn beigebracht hatte.“

Albrecht ging in den Fröbelschen Kindergarten der Marie Bloch, Ostern 1932 wurde er in die Grundschule von Röse Dähn im gleichen Haus eingeschult und Ostern 1935 als Gymnasiast in die Große Stadtschule aufgenommen.

Mit dem 9. November 1938, dem 10. November in Rostock, trat die von den Eltern lange befürchtete Situation ein. Während des Pogroms wurde Richard Josephy verhaftet und ins Gefängnis nach Neustrelitz verschleppt, im Haus der Familie wütete die SA. Albrecht: „Meine Mutter entschied, dass meine beiden älteren Schwestern Brigitte und Renate und ich sofort in die Schweiz ausreisen sollten. Am 17. November brachte sie uns nach Berlin, von wo wir drei dann mit dem Zug nach Basel weiterfuhren. Dort erwarteten uns zwei Familien. Die eine, die eines Hausarztes aus Riehen bei Basel, nahm Brigitte und mich, die andere, die eines Juristen, nahm Renate auf. Beide Familien wurden für mich und meine Schwestern im Laufe der Jahre zu mehr als nur ‚Ersatzfamilien’. Mit ihrer Fürsorge und Liebe erleichterten sie uns Kindern, die Trennung von unseren Eltern zu ertragen und das neue, auch völlig unbeschwerte, von den Belastungen in Deutschland freie Leben zu beginnen.“

Nach seinem Abitur studierte Albrecht von 1946 bis 1950 an der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich Chemie, trat 1951 in die Basler Firma Sandoz als Chemieingenieur ein, um für das Unternehmen in Kanada und Brasilien bis 1955 zu arbeiten. In diesem Jahr kehrte er nach Basel zurück. Bis zu seiner Pensionierung 1991 war Albrecht hier für Sandoz tätig.

Nach seiner Hochzeit 1962 kamen in den folgenden Jahren drei Kinder zur Welt. Die Familie lebte und lebt in Riehen bei Basel. Hier ist Albrecht in der Nacht vom 5. zum 6. Januar 2024 in seinem Haus im Kreis seiner Frau, seiner Kinder und Enkelkinder im Alter von 97 Jahren eingeschlafen.