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Rede von Bürgerschaftspräsidentin Karina Jens anlässlich der Feierstunde "20 Jahre Bürgerschaft in der Hansestadt Rostock"

Pressemitteilung vom 31.05.2010

- Es gilt das gesprochene Wort -

Verehrte Festversammlung,

zu dem heute zu ehrenden Ereignis "20 Jahre Bürgerschaft - 20 Jahre kommunale Selbstverwaltung" hier im Festsaal des Rostocker Rathauses heiße ich Sie recht herzlich willkommen.

Lassen Sie mich zunächst den Kindern der Jeki-Klassen und ihre Lehrkräften für den musikalischen Auftakt danken. Es ist der erste große Auftritt.

Mit Blick auf die organisatorischen Vorbreitungen dieses Tages war dieser Beginn wohlbedacht. Zum einen hat die gegenwärtige Bürgerschaft die Unterstützung dieses Projekts in großer Einmütigkeit, sozialer Verantwortung und mithin in bester hanseatischer Tradition erst kürzlich beschlossen. Zum anderen sind diese jungen Menschen, die unserer gesellschaftlichen Verantwortung obliegen, die Zukunft. Sie mögen sich daran erinnern, dass Sie durch Ihr engagiertes Handeln in den letzten 20 Jahren, gerade auch der jüngeren Generation die Möglichkeiten einer freiheitlichen Demokratie zur eigenen Lebensgestaltung eröffnet haben und auch weiterhin tun.

Am 6. Mai 1990 fanden überall in der ehemaligen DDR freie und demokratische Kommunalwahlen statt. Auch in Rostock konnte erst nach der Wende 1989/90 an die Tradition demokratischer Kommunalpolitik, die diesen Namen verdient, angeknüpft werden. Die Wahlbeteiligung lag bei stolzen, 68,2 Prozent.

Wenige Tage später wurde von der DDR-Volkskammer mit der Kommunalverfassung der DDR die kommunale Selbstverwaltung gesetzlich verankert. Und dort stand nun in § 20 Organe schwarz auf weiß "Selbstverwaltungsorgane der Gemeinde sind die Gemeindevertretung und der Bürgermeister." Ein kurzer Satz mit grundsätzlicher Bedeutung, auf die ich noch später eingehen werde.

Die gerade durch erstmals wieder demokratische Wahlen legitimierten 130 Bürgerschaftsmitglieder kamen heute vor genau 20 Jahren zur konstituierenden Sitzung zusammen. Eine ihrer Entscheidungen war damals die offizielle Bezeichnung unserer Stadt als "Hansestadt Rostock" sowie die Wahl von Dr. Klaus Kilimann zum Oberbürgermeister und Christoph Kleemann zum 1. Präsidenten der Bürgerschaft.

Rostock als stolze Hansestadt - damit sind große Traditionen verbunden - die durch die Bürgerinnen und Bürger getragen wurden und werden. Fast alle heute hier Anwesenden waren Zeitzeugen oder Mitgestalter historischer Veränderungen in Rostock. Andere, wie auch ich, zunächst nur Betrachter dieser revolutionären Umgestaltung Jahre 1989/ 90 sowie der Folgezeit.

Meine Damen und Herren,

mit Ihrem Mut, Ihren Visionen und Ihren Forderungen nach Teilhabe sowie Erneuerung des Staatlichen und gesellschaftlichen Lebens haben Sie diese historische Phase gestaltet. Dazu gehörte auch die Bildung der 19 Ortsbeiräte, die eine herausragende Rolle spielen, auch wenn das leider nicht immer ausreichend beachtet und gewürdigt wird. In diesem Sinne begrüße ich ganz herzlich die Frauen und Männer der ersten Stunde sowie die Bürgerschaftsmitglieder der folgenden Legislaturperioden bis heute mit ihren ehemaligen Präsidentinnen und Präsidenten Frau Dr. Ingrid Bacher und Herrn Prof. Dr. Ralf Friedrich.

Die Herren Oberbürgermeister a. D. Dr. Kilimann, Prof. Schröder und Arno Pöker sowie den gegenwärtigen Oberbürgermeister Roland Methling.

Leider kann der ehemalige Oberbürgermeister und 1. Präsident der Bürgerschaft Christoph Kleemann krankheitsbedingt nicht anwesend sein. Er lässt uns herzlich grüßen und hat mich gebeten, Ihnen die Jubiläumsglückwünsche zu übermitteln.

Ich freue mich ganz besonders, dass Dr. Christian Rothe unter uns weilt - im Andenken an seine leider am 3. Dezember 2008 verstorbene Ehefrau Liesel Eschenburg.

Nun sind 20 Jahre historisch gesehen nur eine kurze Zeit, in der sich das Leben und auch das Gesicht Rostocks grundlegend verändern hat. Unendlich viele Entscheidungen, die erforderlich waren, mussten getroffen werden. Es würde jeden zeitlichen Rahmen sprengen, diese hier aufzuzählen. Erinnert sei an die glücklichen Stunden, die Gründung der Hochschule für Musik und Theater, die Neugestaltung der Parkanlagen. Sanierung von Naturräumen, die Schaffung der Infrastruktur; Gewerbegebiete, den Ausbau des Hafens, aber auch an die großen kritisch diskutierten Investitionsprojekte wie IGA und Warnowquerung oder schmerzlich Entscheidungen zur Personalsituation.

Unsere Festredner Herr Prof. Krüger und Herr Prof. Werz werden uns die vergangenen 20 Jahre im Detail näher bringen ebenso wie vorausgegangene Jahrhunderte, in denen die Bürgergesellschaft sich formte und demokratische Prinzipien versucht wurden.

Meine Damen und Herren,

erlauben Sie mir mich in meinen Ausführungen auf das was immer wieder eine Herausforderung zu sein scheint und auch jüngst diskutiert wurde. Das Verhältnis der Selbstverwaltungsorgane zueinander: Gerade gestern war unter Zuhilfenahme eines Albert Schweizer Zitat zu lesen, dass ... "niemand zum Auto wird, der sich in einer Garage aufhält", mithin der Besuch eines Rathauses noch keinen Kommunalpolitiker ausmacht! Nun denn - wohl wahr!

Was aber ist Kommunalpolitik und was sind die Grundlagen kommunalen Selbstverständnisses? Die kommunale Demokratie ist eine wichtige Säule des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Auf keiner anderen Verantwortungsebene sind die Bürgerinnen und Bürger der Politik so nahe, sind von politischen Entscheidungen so unmittelbar betroffen, stehen sich Wähler und Gewählte direkt gegenüber.

Anlässlich des Jubiläums "20 Jahre freie Kommunalwahlen in Ostdeutschland" erklärte die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth in ihrer Funktion als Präsidentin des Deutschen Städtetages: "Bei aller Freude über die ersten freien Kommunalwahlen wissen wir auch, dass die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen in Ost und West in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist. Das darf uns nicht gleichgültig lassen.

Das muss Anlass zur Sorge sein. Auch in Rostock beträgt der Unterschied bei der Wahlbeteilung 1990 zu 2009 über 25 Prozent.

Wir müssen unser Handeln also wieder mehr am Interesse der Bürgerinnen und Bürger orientieren, mit ihnen kommunizieren und dabei den Gemeinsinn in den Vordergrund zu stellen - wieder hin zu den demokratischen Tugenden.

Wahrhafte kommunale Verantwortung braucht das Engagement und den Einsatz seiner Bürger; sie braucht die Anerkennung durch den Wähler, seine Mitwirkung, Kontrolle, Anregung und Kritik, wie auch sein Wohlwollen und seine Zustimmung. Demokratische Rechtsordnungen m. D. u. H. leben nicht nur vom korrekten Normenvollzug, sondern gerade von der Vielfältigkeit und der Lebendigkeit der Mitwirkenden. Deshalb liegt die Chance einer kommunalen Vertretung in ihrer Zusammensetzung aus Menschen mit unterschiedlichen Potentialen aus verschiedenen Lebenswelten sowie individuellen politischen Prägungen und Visionen.

Allen, die sich der Demokratie verpflichtet fühlen, und das gilt auch für Sie, die bisherigen Mitglieder der Bürgerschaft, können dabei die gleiche Ernsthaftigkeit und der beste Wille unterstellt werden. Der Gefahr, uns hin und wieder im kleinlichen Streit zu verlieren, werden wir - da bin ich mir mit allen meinen Vorgängern wohl einig - nie ganz entgehen.

Wichtig bleibt jedoch, dass sowohl Mandatsträger als auch Verwaltung nicht die Erkenntnis aus den Augen verlieren: Wir beraten, handeln und entscheiden im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger. Alleiniger Maßstab ist dabei, dem Wohl der Stadt zu dienen.

Auch in der jetzt in der gültigen Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg Vorpommern umfasst die kommunale Selbstverwaltung zwei Säulen. Die Gemeindevertretung, mithin die Bürgerschaft, und den Bürgermeister, in unserer Stadt Oberbürgermeister genannt.

Beide sind - anders als auf Landes- oder Bundesebene - Teil einer Verwaltung mit einer gemeinsamen Verantwortung für die Stadtentwicklung, wenn auch mit unterschiedlichen Aufgaben. Oberstes Willens - und Beschlussorgan auch in der Hansestadt Rostock ist dabei die Gemeindevertretung, d.h. die Bürgerschaft.

Ihr obliegt die politische Steuerung aller wichtigen Angelegenheiten. Dem Oberbürgermeister als Spitze der Verwaltung fällt demgegenüber der Vollzug, die praktische Umsetzung der politischen Vorgaben zu. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr! Juristisch m. D. u. H. ist das eindeutig, an einschlägiger Stelle nachzulesen und mit einem Geflecht von Rechten und Pflichten zur Information einerseits und zur Kontrollen derer seits untermauert.

Im alltäglichen Geschäft bleibt die politische Steuerung einer hauptamtlichen Verwaltung durch ein ehrenamtliches Gremium gegenüber bei der Größe Rostocks jedoch ein Problem und eine stetige Herausforderung.

Die heute hier anwesenden ehemaligen und der jetzige Oberbürgermeister mögen sich in ihrem jeweiligen Arbeits- und Umgangsstil unterschieden haben bzw. es tun Keinem ist jedoch die kritische Auseinandersetzung mit der Bürgerschaft erspart geblieben und wird es schon aus den eben aufgeführten Rechtsgründen auch in Zukunft nicht.

Der Dialog und auch der Diskurs sind unabdingbarer Bestandteil unserer demokratischen Kultur. Sie dienen der erforderlichen Mehrheitsfindung ebenso wie der Teilhabe von Bürgern und der Transparenz. Entscheidend bleibt also die Kommunikation aus dem Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung und auf der Grundlage gegenseitiger respektvoller Anerkennung. Das Rechtsinstitut des Widerspruchs m. D. u. H. ist jedoch kein anerkanntes Kommunikationsmittel, vielmehr symbolisiert er das ganze Gegenteil!

Verstehen Sie mich bitte richtig - er ist ein unverzichtbares Ordnungsmittel (deshalb hilft bei der Antragstellung durchaus ein vorheriger Blick ins Gesetz) soweit ein Verstoß gegen die Rechtsordnung vorliegt, aber kein Ersatz für kommunale Verantwortung.

Im Durchschnitt gab es je Legislaturperiode zehn Widersprüche, allein in den ersten zehn Monaten dieser Wahlperiode wurde dagegen bereits 13-mal zu diesem Mittel gegriffen! Eine Tatsache, die alle Beteiligten nachdenklich stimmen sollte. ...

Meine Damen und Herren,

wir sind gut beraten, eine eigene bürgerliche Identität in der Stadt zu befördern.

"Demokratie ist gewiss zuerst eine Sache der Vernunft, aber sie ist auch eine Sache des Herzens.", so Roman Herzog in seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche im Mai 1998. Diesem Anspruch sind Sie in der Vergangenheit gefolgt und müssen wir auch zukünftig gerecht werden.

Globale Herausforderungen, europäisches Regelwerk, bundespolitische Entscheidungen fordern uns weiterhin. Ich wünsche mir dabei den Rostock-spezifischen Beitrag: Wir können mehr, wir wollen mehr, wir schaffen mehr!

Ich möchte Sie einladen gemeinsam diesen Weg zu gehen, unabhängig davon, an welcher Stelle Sie heute für das Wohl dieser Stadt Verantwortung tragen. Lassen Sie uns die Arbeit der Bürgerschaft selbstbewusst mit Freude nach außen tragen. Das ist die beste Motivation für andere zum Mitmachen.