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Rede von Oberbürgermeister Arno Pöker zur Einweihung des Jüdischen Gemeindezentrums am 5. September 2004

Pressemitteilung vom 05.09.2004

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Spiegel,
sehr geehrter Rabbiner Wolff,
sehr geehrter Herr Rozov,
lieber Yaakov Zur,
sehr geehrte Gäste,
meine Damen und Herren,

auch ich begrüße Sie sehr herzlich zur heutigen Einweihung des Zentrums der jüdischen Gemeinde in Rostock und freue mich wirklich sehr, dass viele von Ihnen sich auf den Weg gemacht haben, um dieses besondere Ereignis zu feiern.

Soweit ich weiß, sind Sie, sehr geehrter Herr Spiegel, das erste Mal in der Hansestadt. Schön, dass Sie es trotz ihres eng gedrängten Terminkalenders möglich gemacht haben, heute hier zu sein.

Ich heiße auch Landesrabbiner William Wolff wieder herzlich in Rostock willkommen. Besonders freue ich mich, dass der Ehrenbürger Rostocks, Yaakov Zur, sich aus Israel wieder auf den Weg nach Rostock gemacht hat. Auch Ihnen ein herzliches Willkommen.

Meine Damen und Herren,

der heutige Tag markiert einen ganz wichtigen Meilenstein - nicht nur für die weitere Entwicklung der Jüdischen Gemeinde selbst, sondern auch für die gesellschaftliche Entwicklung unserer Stadt.

Nachdem der Standort des jüdischen Gemeindezentrums am Wilhelm- Külz-Platz auf Dauer zu klein geworden war, erhält die jüdische Gemeinschaft in der Hansestadt jetzt wieder ein Zentrum, das auch auf lange Sicht den Anschluss an die Geschichte und Bedeutung der jüdischen Gemeinschaft in Rostock ermöglichen wird.

Mit der Neugründung der jüdischen Gemeinde Rostocks im Jahre 1994 kehrte jüdisches Leben dorthin zurück, von wo es der NS-Terror vertrieben hat: in die Mitte der Stadtgesellschaft. Mit dem heutigen Tag finden Juden in Rostock auch einen angemessenen Ort, ihren Glauben und Traditionen in der Gemeinschaft zu leben.

Meine Damen und Herren,

vor mehr als zehn Jahren wurde die jüdische Gemeinde Rostock mit 103 Mitgliedern neu gegründet. Es gab wieder ein jüdisches Gemeindeleben in einer Stadt, in der seit 1933 jüdische Bürgerinnen und Bürger systematisch entrechtet und zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen wurden, viele aber auch deportiert und dann in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ermordet wurden.

Einen vorläufigen grausamen Höhepunkt hatte das nationalsozialistische Terrorregime, als am 10. November 1938, wie in unzähligen Städten Deutschlands, auch die Rostocker Synagoge brannte. Die Reichspogromnacht, diese staatlich organisierte Mord- und Brandnacht, sollte zum Ausgangspunkt für weitere unvorstellbare Gräueltaten werden, deren Opfer auch unzählige Rostocker Juden wurden.

Seit 1868 hatten Rostockerinnen und Rostocker eine jüdische Gemeinde gebildet, die in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur und der Politik die Geschicke der Stadt mitgestaltet und mitgeprägt hatten.

Ich nenne an dieser Stelle nur stellvertretend für viele den langjährigen Straßenbahnchef Richard Siegmann, der maßgeblich am Anfang des 20. Jahrhunderts ein modernes Nahverkehrssystem in Rostock aufgebaut hat, und die Gründerin des Fröbelkindergartens, Marie Bloch.

Sie und unzählige andere wurden diskriminiert, verfolgt, verschleppt, ermordet. Jüdisches Leben in Rostock wurde nahezu vollständig ausgelöscht. Nur vierzehn jüdische Bürger überlebten in Rostock die Schreckensjahre der Verfolgung. Mit Scham erinnern sich Rostockerinnen und Rostocker an die dunkelsten Jahre in der Geschichte unserer Stadt und trauern um die Opfer.

Meine Damen und Herren,

nach Jahrzehnten erzwungener Unterbrechung wurde mit dem Neuentstehen einer jüdischen Gemeinde 1994 ein neues Kapitel in der gemeinsamen Geschichte von Juden und Nichtjuden in Rostock aufgeschlagen.

1996 bezog die Gemeinde ein Haus am Wilhelm-Külz-Platz in Rostock. Durch die stetig wachsende Mitgliederzahl zeichnete sich aberrecht bald ab, dass das Gebäude in vielerlei Hinsicht zu klein sein würde.

Die bisher genutzte Villa platzte aus allen Nähten, wurde den steigenden Anforderungen der Gemeinde nicht mehr gerecht und hätte dringend saniert und erweitert werden müssen. Dies war aber aus planungsrechtlicher Sicht nicht möglich und so haben sich die jüdische Gemeinde und die Hansestadt Rostock auf die Suche nach einem geeigneteren Objekt gemacht. Dabei war uns wichtig, dass der Standort des neuen Gotteshauses sich in örtlicher Nähe des historischen Standortes der vernichteten Synagoge befindet. Dies ist mit dem heutigen Standort in der Augustenstraße gelungen.

Vor gut einem Jahr, am 1. September 2003, hat dann die Bürgerschaft der Hansestadt Rostock beschlossen, 511.000 EURO für den Umbau des Gebäudes aus Haushaltsmitteln der Stadt zur Verfügung zu stellen. Gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde, dem Land Mecklenburg- Vorpommern, dem Förderverein "Bau der Synagoge Rostock "Arnold Bernhard e.V.", dem Zentralrat der Juden und vielen Sponsoren und Privatinitiativen konnte dieser Umbau letztlich umgesetzt werden.

Meine Damen und Herren,

der Gebäudekomplex der Gemeinde, der früher als Schule genutzt wurde, bietet nun nach dem Umbau alle Voraussetzungen für ein aktives Gemeindeleben. Verwaltung, Kindergarten, Bibliothek und Weiterbildung erhalten ihre entsprechenden Räumlichkeiten. Im Kellergeschoss steht ein Probenraum für die Theatergruppe "Mechaje" zur Verfügung.

Kernstück des Gemeindezentrums ist und bleibt aber die Synagoge, in dem der jüdische Glaube praktiziert und die Gemeinschaft der Juden gelebt werden kann.

Die Realisierung dieses Projekts ist Ausdruck der Kontinuität in der Annahme der historischen Verantwortung und Meilenstein für die Zukunft jüdischen Lebens in Rostock. Der Bau des Zentrums steht für Versöhnung, Dialog, Gemeinsamkeit, für Vielfältigkeit, Toleranz und Offenheit. Ich möchte mich bei allen Beteiligten für die Unterstützung und Förderung sehr herzlich bedanken. Sie haben alle dazu beigetragen, dass Juden im Verbund mit einer dauerhaften Gemeinde Lebensperspektiven in der Hansestadt Rostock entwickeln können.

Meine Damen und Herren,

heute zählt die jüdische Gemeinde Rostock bereits mehr als 600 Mitglieder und wird in den kommenden Jahren auf mehr als 1.000 Mitglieder anwachsen.

Und die jüdische Gemeinde wächst nicht nur in Bezug auf die Zahl ihrer Mitglieder. Sie ist auch in innerem inneren Zusammenhalt und ihrer Außenwirkung stärker geworden und hat sich zu einer Organisation gewandelt, die Autorität und Anerkennung in der Öffentlichkeit genießt. Die jüdische Gemeinde Rostock hat sich in der Zeit ihres Bestehens zu einer Gemeinschaft entwickelt, die öffentlichen, politischen und kulturellen Leben der Stadt ihren festen unverrückbaren Platz hat. Dass dies auch in Zukunft so sein soll, haben Stadt und Gemeinde 1998 in einer nicht nur für ostdeutsche Gemeinden beispielhaften "Gemeinsamen Erklärung" bekräftigt. Sie ist Ausdruck des Bekenntnisses der Hansestadt Rostock zu ihrer historischen Verantwortung und wird nach wie vor von dem gemeinsamen Willen getragen, mit einer stabilen Entwicklung der Gemeinde ein Zeichen für die lebenden und kommenden Generationen zu setzen.

Meine Damen und Herren,

durch die jüdische Gemeinde Rostock sind jüdische Sitten und Traditionen in unserer Stadt wieder erfahrbar. Ich selbst durfte schon oft Gast bei den verschiedenen religiösen Festen der Gemeinde sein und habe immer mit großer Freude an Ihnen teilgenommen. Jüdische Geschichte und Geschichten werden einem breiten Publikum durch das wunderbare Theater "Mechaje" nahe gebracht. Das Theater macht uns seinem Namen entsprechend nicht nur viel Freude, sondern leistet einen großen Beitrag zum kulturellen Dialog und zum gegenseitigen Verständnis von Juden und Nichtjuden.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Rostock will eine offene, liberale und gastfreundliche Stadt sein, in der Menschen unter-schiedlicher Religionen und Kulturen ihren Platz haben und zusammenleben können. Das kann nur gelingen, wenn sich vor allem die jungen Menschen mit verschiedenem kulturellem und religiösem Hintergrund kennen lernen, sich gemeinsam mit der Vergangenheit auseinandersetzen und gemeinsam Zukunft suchen.

Wir können uns nur mit der Vergangenheit auseinandersetzen, wenn wir sie auch kennen. Immer noch wissen nichtjüdische Rostockerinnen und Rostocker viel zu wenig über den jüdischen Glauben und Traditionen und jüdische Wurzeln hier in Rostock. Seit 1991 arbeitet die Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock, Max-Samuel-Haus, aktiv daran, das jüdische Leben in Rostock von damals zu erforschen und bekannt zu machen. An dieser Stelle gestatten Sie mir bitte, sehr verehrte Damen und Herren, den Mitarbeitern und Förderern der Stiftung für Ihre langjährige erfolgreiche Arbeit sehr herzlich zu danken.

Meine Damen und Herren,

Aktives jüdisches Leben in Rostock ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer toleranten und weltoffenen Stadtgesellschaft. Das setzt die Bereitschaft zur guten Nachbarschaft und zum Miteinander von uns allen voraus, die sich im Alltag bewähren muss. Das heißt, nicht das Trennende, sondern das Verbindende zu suchen.

Ich wünsche mir und uns allen, dass dieses neue Jüdische Gemeindezentrum ein Ort des Gottesdienstes wird; ein Ort des Dialogs, des gegenseitigen Kennenlernens; ein Ort, der in Rostock und über Rostock hinaus weit in unsere Gesellschaft wirkt.

Gottes Segen für Ihre Gemeinde und für unsere Stadt.