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Bau­stel­le Rat­haus­er­wei­te­rung: Ar­chäo­lo­gen ste­hen wie vor ei­nem of­fe­nen Ge­schichts­buch

Mel­dung vom 28.02.2024 - Bil­dung und Wis­sen­schaft / Um­welt und Ge­sell­schaft / Kul­tur, Frei­zeit, Sport / Rat­haus

Baustelle Rathauserweiterung: Keller der Giebelhäuser An der Hege (vorn Brandmauer zwischen historischen Nummern 4 und 5) aus dem späten 13. Jahrhundert mit Winkelsturznische (rechts).
Bau­stel­le Rat­haus­er­wei­te­rung: Kel­ler der Gie­bel­häu­ser An der He­ge (vorn Brand­mau­er zwi­schen his­to­ri­schen Num­mern 4 und 5) aus dem spä­ten 13. Jahr­hun­dert mit Win­kel­sturz­ni­sche (rechts). | Fo­to: KOE

Die Bau­stel­le für die Ros­to­cker Rat­haus­er­wei­te­rung prä­sen­tiert sich zu­neh­mend als of­fe­nes Ge­schichts­buch. Nach und nach ha­ben die Ar­chäo­lo­gen al­le Kel­ler der his­to­ri­schen Haus­num­mern An der He­ge 4 bis 10 frei­ge­legt. Zu Jah­res­be­ginn war das nörd­li­che En­de des Bau­grund­stücks in Rich­tung Vo­gel­sang er­reicht und Gra­bungs­lei­ter Dr. Jörg An­sor­ge und sein Team konn­ten sich u.a. in Rich­tung Wes­ten (Neu­er Markt) ori­en­tie­ren.

Grund­stücks­gren­zen ha­ben sich im­mer wie­der ge­än­dert

Beim Blick auf die frei­ge­leg­ten Kel­ler der mit­tel­al­ter­li­chen Gie­bel­häu­ser fällt auf, dass sich die Grund­stücks­gren­zen im Lauf der Jahr­hun­der­te im­mer wie­der ge­än­dert ha­ben. Neue­re Back­stein­mau­ern wei­sen hier und da ei­nen an­de­ren Ver­lauf auf als die dar­un­ter lie­gen­den äl­te­ren Struk­tu­ren. Teil­wei­se lie­gen meh­re­re die­ser Struk­tu­ren über­ein­an­der, weil nach Er­eig­nis­sen wie dem gro­ßen Stadt­brand 1677 neue Ge­bäu­de er­rich­tet wur­den. So lässt es sich auch er­klä­ren, dass die Haus­num­mern der his­to­ri­schen Gie­bel­häu­ser 4 bis 10 nicht ex­akt mit der Zäh­lung im letz­ten of­fi­zi­el­len Adress­buch aus den 1930er Jah­ren über­ein­stim­men. Das Gie­bel­haus Nr. „4“ war zu­letzt Haus­num­mer 6, die Häu­ser 5 bis 7 wur­den nach Neu­bau zu Be­ginn des 18. Jahr­hun­derts zur neu­en „7“.

Baustelle Rathauserweiterung, Hege 4 Keller: Mitarbeiter der Firma Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern (AIM-V) an der Fundstelle der Vorratstöpfe.
Bau­stel­le Rat­haus­er­wei­te­rung, He­ge 4 Kel­ler: Mit­ar­bei­ter der Fir­ma Ar­chäo­lo­gie in Meck­len­burg-Vor­pom­mern (AIM-V) an der Fund­stel­le der Vor­rat­stöp­fe. | Fo­to: Ar­chäo­lo­gie in Meck­len­burg-Vor­pom­mern (AIM-V)

Fo­tos do­ku­men­tie­ren den Wan­del

Die­se stän­di­ge Wei­ter­ent­wick­lung An der He­ge ist seit dem 19. Jahr­hun­dert durch Fo­tos do­ku­men­tiert. Die al­te Num­mer 4 (neue 6) dien­te bis ca. 1870 als „Schmie­de­schüt­ting“ (Amts­haus/Knei­pe der Schmie­de). Es folg­te ein grün­der­zeit­li­cher Um­bau um 1880 mit neu­er Fas­sa­de und ei­ner Auf­sto­ckung des Hau­ses um ein Ge­schoss.

 

Deut­li­che Spu­ren des Um­baus konn­ten auch im Kel­ler do­ku­men­tiert wer­den. Ab 1929 be­trieb Gast­wirt Hein­rich Wulff an die­ser Adres­se sein „Han­sa­haus“. Da­ne­ben, in der neu­en Nr. 7, exis­tier­te im spä­ten 19. Jahr­hun­dert ei­ne Mö­bel­fa­brik, in Nach­fol­ge des „Ho­tels du Sa­xe“. Das an­stel­le zwei­er frü­he­rer Gie­bel­häu­ser er­rich­te­te Ge­bäu­de wur­de 1942 bei ei­nem Bom­ben­tref­fer zer­stört. Dar­auf wei­sen die mit Kriegs­schutt ver­füll­ten Kel­ler hin.

Be­son­der­hei­ten im mit­tel­al­ter­li­chen Gie­bel­haus­kel­ler Nr. 4 wa­ren ei­ne mit­tel­al­ter­li­che Feld­stein­trep­pe und ein meh­re­re Me­ter tie­fer „Be­fund“. Da­bei han­delt es sich viel­leicht um ei­nen Brun­nen, der al­ler­dings aus sta­ti­schen Grün­den erst im Zu­ge des Bau­gru­ben­aus­hubs un­ter­sucht wer­den kann.

Baustelle Rathauserweiterung: Größtenteils vollständig erhaltene Vorratstöpfe aus dem 13. Jahrhundert nach Reinigung und Rekonstruktion.
Bau­stel­le Rat­haus­er­wei­te­rung: Grö­ß­ten­teils voll­stän­dig er­hal­te­ne Vor­rat­stöp­fe aus dem 13. Jahr­hun­dert nach Rei­ni­gung und Re­kon­struk­ti­on. | Fo­to: KOE

Zu­rück ins 13. Jahr­hun­dert und zahl­rei­che Fun­de

Un­ter dem Kel­ler­fuß­bo­den die­ses Hau­ses wur­den Res­te ei­nes Holz­kel­lers ent­deckt. Dr. An­sor­ge da­tiert die Ent­ste­hungs­zeit vor die Mit­te des 13. Jahr­hun­derts. Das Be­son­de­re: Der Kel­ler liegt noch tie­fer als die Res­te des ver­mut­lich äl­tes­ten Stein­hau­ses der Mit­tel­stadt. Er ist so­mit viel­leicht noch äl­ter. „Der Kel­ler wur­de nach ei­ner ge­wis­sen Nut­zungs­zeit durch ei­nen Brand be­schä­digt, Res­te des ver­kohl­ten Holz­fuß­bo­dens blie­ben er­hal­ten“, be­rich­tet Dr. An­sor­ge. „Dar­auf la­gen ca. 20 Vor­rat­stöp­fe aus grau­er Ir­den­wa­re; teil­wei­se so­gar voll­stän­dig, aber in der Mas­se zer­scherbt und mit deut­li­chen Brand­spu­ren. Sie stam­men al­le aus ein­hei­mi­scher Pro­duk­ti­on.“

Der Ex­per­te freut sich be­son­ders über die For­men­viel­falt der Töp­fe, u.a. Ku­gel­töp­fe und Stand­lap­pen­kan­nen so­wie ein Gra­pen­topf. Die Stü­cke sind wich­ti­ge Hin­weis­ge­ber auf die Auf­ga­be­zeit des Holz­kel­lers. Flach­bo­den­töp­fe, die erst um 1260 auf­ka­men, wur­den an die­ser Stel­le näm­lich nicht ge­bor­gen.

 

Und wie konn­te es da­zu ge­kom­men sein, dass sich an ei­nem ein­zi­gen Fund­ort der­ma­ßen vie­le voll­stän­dig er­hal­te­ne Töp­fe be­fin­den? Dr. An­sor­ge bringt sei­nen Fund mit ei­nem „Ka­ta­stro­phe­n­er­eig­nis“ in Ver­bin­dung. „Wahr­schein­lich ein Brand vor oder um 1260. Of­fen­sicht­lich muss­ten die Be­woh­ner auf schnells­tem Weg das Ge­bäu­de ver­las­sen und konn­ten oder woll­ten die Vor­rats­ge­fä­ße nicht mit­neh­men.“