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Na­vi­ga­ti­on

Das grö­ß­te Puz­zle Ros­tocks

Mel­dung vom 16.11.2023 - Bil­dung und Wis­sen­schaft / Kul­tur, Frei­zeit, Sport

Der Was­ser­turm im Bahn­hofs­vier­tel ist ein be­son­de­res Ros­to­cker Wahr­zei­chen. Wie ein Leucht­turm steht er seit 1903 am Stadt­rand, dien­te bis 1959 der Was­ser­ver­sor­gung und be­her­bergt heu­te Ex­po­na­te des Kul­tur­his­to­ri­schen Mu­se­ums. Der Turm prägt die Sil­hou­et­te der Stadt. Aber sei­ne Schön­heit bleibt seit Jah­ren ver­bor­gen, das Bau­werk ist von Schutz­pla­nen ver­deckt. Weil Feuch­tig­keit das Mau­er­werk jahr­zehn­te­lang stark ge­schä­digt hat, muss das Denk­mal auf­wen­dig sa­niert wer­den.

Die Re­stau­ra­ti­on liegt in den Hän­den des Ei­gen­be­triebs Kom­mu­na­le Ob­jekt­be­wirt­schaf­tung und -ent­wick­lung (KOE). Da das Bau­werk als his­to­risch wert­voll gilt, ist bei der Sa­nie­rung be­son­de­res Fin­ger­spit­zen­ge­fühl ge­fragt.

„Wir ma­chen gro­ße Fort­schrit­te“

Wie ist der Stand im Herbst 2023? „Wir ma­chen gro­ße Fort­schrit­te“, er­klärt Nils Som­mer, Tech­ni­scher Lei­ter des KOE und als Pro­jekt­lei­ter per­sön­lich für die Sa­nie­rung des Was­ser­turms ver­ant­wort­lich. In der Tat: Der knapp be­mes­se­ne Platz auf der Bau­stel­le ist mit et­li­chen Pa­let­ten Bau­ma­te­ri­al ge­füllt. Vor al­lem Form­stei­ne in ver­schie­de­nen Grö­ßen und Far­ben; auch sor­tiert nach Ver­wen­dungs­zweck und Gla­sie­rung. Lau­ter Ein­zel­tei­le für ein rie­si­ges Puz­zle, das noch zu­sam­men­ge­setzt wer­den muss.

Der Au­ßen­auf­zug am Ge­bäu­de ist stän­dig in Be­we­gung, bringt Hand­wer­ker, Form­stei­ne oder Werk­zeu­ge zu ei­ner der gut 20 Ge­rüst­ebe­nen zwi­schen Erd­bo­den und Da­ch­ebe­ne. Ge­sprächs­fet­zen drin­gen hin­ter den Pla­nen her­vor. Die Hand­wer­ker müs­sen gut bei Stim­me sein, um ge­gen die Ge­räu­sche der Stein­sä­gen, Bohr­ma­schi­nen oder Mei­ßel an­zu­kom­men.

Nils Som­mer ist hin­ter den Pla­nen ver­schwun­den. Er be­gut­ach­tet ei­nen der sie­ben Stre­ben­pfei­ler, die das Ge­bäu­de als „Fü­ße“ stüt­zen und al­le­samt er­neu­ert wer­den müs­sen. Die Zie­gel­ker­ne hin­ter den Blen­den aus Na­tur­stein wa­ren stän­dig nass, sind ka­putt­ge­fro­ren und müs­sen wie­der neu auf­ge­mau­ert wer­den. Hier un­ten sind die Mau­ern bis zu 1,80 m dick, aus sta­ti­schen Grün­den kön­nen nie mehr als zwei da­von gleich­zei­tig sa­niert wer­den.

Nils Som­mer streicht mit der Hand über ei­ne be­reits er­setz­te Blen­de aus Gra­nit. „Tol­le Ar­beit, das sieht rich­tig gut aus“, ist der Pro­jekt­lei­ter zu­frie­den.

Et­li­che mar­kan­te Schä­den fest­ge­stellt

Über stei­le Lei­tern geht es wei­ter hin­auf. We­ge aus Holz­boh­len füh­ren um den Turm her­um. Die Au­ßen­wän­de sind hier teil­wei­se schon sa­niert, wei­sen aber auch noch grö­ße­re Lü­cken auf. Ge­schickt ge­zim­mer­te Holz­ver­stre­bun­gen stüt­zen frei­lie­gen­des Mau­er­werk. Et­li­che mar­kan­te Schä­den of­fen­ba­ren sich, hier und da kann man die gan­ze Hand zwi­schen Mau­er und Ver­blen­dung ste­cken.

An­de­re Stei­ne sind mit far­bi­gen Punk­ten mar­kiert. Sie sind – für Lai­en manch­mal gar nicht er­sicht­lich – be­schä­digt und müs­sen aus­ge­tauscht wer­den. Der er­fah­re­ne Ros­to­cker Ar­chi­tekt Dr. Rai­ner Gre­bin hat hier wirk­lich je­den ein­zel­nen Stein un­ter­sucht. Jetzt wird klar, wo die vie­len Puz­zle­tei­le aus dem Form­stein-La­ger zu Fü­ßen des Turms ein­ge­setzt wer­den sol­len. Und dass dies nicht in Ta­gen oder Wo­chen er­le­digt wer­den kann.

Als be­son­de­re Her­aus­for­de­rung stell­te sich die lang­wie­ri­ge eu­ro­pa­wei­te Su­che nach ei­nem ge­eig­ne­ten Zie­gel­her­stel­ler her­aus. Sie er­wies sich ne­ben Pro­ble­men durch Co­ro­na und Ukrai­ne-Krieg als wei­te­rer ne­ga­ti­ver Fak­tor. Für die Pro­duk­ti­on der mehr als 120 ver­schie­de­nen Form­stei­ne müs­sen ganz be­son­de­re Vor­aus­set­zun­gen vor­lie­gen, u.a. die Ver­wen­dung ei­nes Koh­le­brand­ofens. Durch ei­ne in­dus­tri­el­le Her­stel­lung konn­te die ge­wünsch­te Far­be mit den er­for­der­li­chen Nu­an­cen nicht her­ge­stellt wer­den.

50.000 Stei­ne und „kon­fek­tio­nier­ter“ Mör­tel für den Was­ser­turm

Meh­re­re Brän­de sind not­wen­dig, um Stei­ne in der rich­ti­gen Form, Far­be und Be­schaf­fen­heit lie­fern zu kön­nen. Sa­ge und schrei­be 50.000 da­von wer­den für den Was­ser­turm be­nö­tigt. Mit dem sechs­ten, sieb­ten Her­stel­ler hat es end­lich ge­klappt. Da es für die Form­stei­ne des Was­ser­turms kei­ne Vor­la­gen mehr gab, hat Dr. Gre­bin je­des ein­zel­ne der gut 120 ver­schie­de­nen Ex­em­pla­re neu ge­zeich­net. Der Ar­chi­tekt be­glei­tet die Sa­nie­rung von Be­ginn an.

Far­be und Form sind das Ei­ne, aber ha­ben die neu­en Stei­ne auch die da­zu pas­sen­de Fu­gen­aus­bil­dung? Mit Hilfs­mit­teln wie der Fran­ke-Plat­te wur­den ver­schie­de­ne Ma­te­ri­al­mus­ter hin­sicht­lich ih­rer Was­ser­auf­nah­me ge­prüft. Da­für wur­de so­gar Schlagre­gen si­mu­liert.

Auch der Mör­tel für den Was­ser­turm kommt nicht von der „Stan­ge“, er wur­de ex­tra für den Ros­to­cker Was­ser­turm kon­fek­tio­niert.

Nils Som­mer ist bei sei­nem Rund­gang auf dem Dach des Was­ser­turms an­ge­kom­men. Un­ter den schüt­zen­den Pla­nen ist es tro­cken und wind­still. Zu Be­ginn der Sa­nie­rung la­gen hier noch et­li­che Schich­ten Dach­pap­pe über­ein­an­der. Sie sind längst ver­schwun­den, die Bau­leu­te ste­hen mitt­ler­wei­le di­rekt auf der Be­ton­de­cke über dem ge­wal­ti­gen Was­ser­kes­sel. Das gan­ze Dach wird ab­ge­dich­tet und die ma­ro­de Turm­krö­nung in­stand­ge­setzt. Sechs der sie­ben Türm­chen hier oben ent­ste­hen eben­falls neu.

Nils Som­mer ist op­ti­mis­tisch, die Sa­nie­rung bis En­de 2024 ab­schlie­ßen zu kön­nen.  Ver­schie­de­ne Fak­to­ren spie­len ei­ne Rol­le, u.a. die Tem­pe­ra­tu­ren im Win­ter. Aber das grö­ß­te Puz­zle Ros­tocks fügt sich zu­sam­men. Stück für Stück.