Rostock arbeitet weiter an einer lebendigen Erinnerungskultur.
Zwischen dem 22. und 26. August 1992 sind alle Augen auf Rostock gerichtet. In dem Stadtteil Lichtenhagen kommt es zu einem der schlimmsten fremdenfeindlichen Übergriffe der Nachkriegszeit. Mehrere Tausend Menschen versammeln sich vor dem so genannten Sonnenblumenhaus, in dem sich die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber des Landes Mecklenburg-Vorpommern (ZAst) befindet, und dem angrenzenden Wohnheim vietnamesischer Vertragsarbeiterinnen und -mitarbeiter. Steine und Brandsätze fliegen. Am 24. August wird die ZAst geräumt. Doch die Gewalt findet kein Ende. Der Hass richtet sich gegen die Menschen in dem Wohnheim. Die tobende Menge gelangt in das Gebäude, legt Feuer. 150 Personen sind darin gefangen. Nur durch Zufall können sie über das Dach in ein Nachbarhaus fliehen.
2023 jähren sich die rassistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen zum 31. Mal. Das Pogrom ist Teil der Stadtgeschichte. Die Ausschreitungen im August 1992 hatten weitreichende Auswirkungen auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland und auf das Selbstverständnis, die Außenwirkung und die Zivilgesellschaft Rostocks. Die Aufarbeitung, das Entwickeln einer Gedenkkultur, das mahnende Erinnern an die Tage im August ist heute und in Zukunft dringende Aufgabe.
„Auch wenn wir nicht mehr in dem Rostock von vor 31 Jahren leben und zahlreiche Menschen unterschiedlicher Herkunft inzwischen das gesellschaftliche Leben gemeinsam gestalten, wird es für uns immer eine wichtige Aufgabe bleiben, Rassismus und Hetze gegen nationale, religiöse oder ethnische Minderheiten zu verurteilen. Lichtenhagen 1992 darf sich niemals wiederholen“, sagt Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger.
Seit 2012 koordiniert die Arbeitsgruppe Gedenken die Zusammenarbeit zwischen den städtischen und staatlichen Akteurinnen und Akteuren, zwischen Vereinen, Trägern und Institutionen und steht damit für den Dreiklang von Stadtpolitik, -verwaltung und Zivilgesellschaft, mit dem Ziel gemeinsam Projekte der Erinnerungskultur umzusetzen. Verschiedenste Formate und Aktivitäten ermöglichen, an das Pogrom zu erinnern, Leerstellen zu benennen und Potenziale aufzuzeigen.
Auf Initiative der AG Gedenken beschloss die Bürgerschaft 2015, eine Projektstelle zur Aufarbeitung und Vermittlung der rassistischen Ausschreitungen von Rostock 1992 einzurichten. Zuständig ist der Verein Soziale Bildung. Die Projektstelle wird durch die Hanse- und Universitätsstadt gefördert. In dem Zusammenhang ist das Dokumentationszentrum „Lichtenhagen im Gedächtnis“ entstanden, das die Aufarbeitung des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen 1992 zur Aufgabe hat. Mit einem umfangreichen Archiv, Bildungsangeboten und einer Webdokumentation schafft das Dokumentationszentrum Orte der Auseinandersetzung mit Rassismus und rechter Gewalt und trägt zu einem nachhaltigen Gedenken bei. Wesentlich ist der Anspruch, denen eine Stimme zu geben, die bisher kaum gehört worden sind. Dazu zählen die betroffenen rumänischen Roma. Bei dem diesjährigen Gedenken werden daher erstmals vom Pogrom betroffene Rom und Romni als Zeitzeugen und Zeitzeuginnen in Rostock sein und über ihre Erfahrungen berichten.
Auf dieser Grundlage rückt die Hanse- und Universitätsstadt Rostock zu den 31. Jahrestagen des Pogroms unter anderem eine Protestaktion aus dem Jahr 1992 in den Fokus: Am 19. Oktober 1992 brachten Mitglieder der Organisation „Söhne und Töchter der deportierten Juden aus Frankreich“ und Mitglieder der Rom und Cinti Union e.V. kurzzeitig eine Gedenktafel am Rostocker Rathaus an und protestierten damit gegen eine kurz zuvor abgeschlossene Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und Rumänien, die es ermöglichte, Geflüchtete auch ohne Papiere, meist Roma, schneller abzuschieben. Künftig wird eine Tafel am Rathaus an den Protest erinnern“, verdeutlicht die Präsidentin der Rostocker Bürgerschaft Regine Lück und ergänzt: „Auch in diesem Jahr beteiligen sich zahlreiche Träger politischer und kultureller Bildung mit einem umfangreichen Programm, um an das Pogrom des Jahres 1992 zu erinnern. Für diese Initiativen möchte ich mich herzlich bedanken.“
Die Hanse- und Universitätsstadt Rostock dankt allen beteiligten Akteurinnen und Akteuren:
Arbeitsstelle politische Bildung am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Rostock, Bunt statt braun e.V., Diên Hông. Gemeinsam unter einem Dach e.V., Evangelische Akademie der Nordkirche, Evangelisch-Lutherische Innenstadtgemeinde Rostock, Friedrich-Ebert-Stiftung, Heinrich Böll Stiftung Mecklenburg- Vorpommern, Historisches Institut der Universität Rostock/Professur für Didaktik der Geschichte, Kirchgemeinde Lichtenhagen „St. Thomas“, Kolping Begegnungszentrum Lichtenhagen, Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Ro-Cine e.V., Soziale Bildung e.V., Societät maritim e.V.
A U S S T E L L U N G E N
bis 30. August im Rathaus Rostock, ohne Anmeldung „Vietnamesische Rostocker*innen“ Erinnerungen aus 30 Jahre
bis 30. August im Rathaus Rostock, ohne Anmeldung „Von Menschen. Ansichten und Gesetzen. Rostock-Lichtenhagen - Mitten unter uns“unterschiedliche Blickwinkel auf die Ausschreitungen 1992
bis 3. September im Rathaus Rostock, ohne Anmeldung 4. bis 17. September im Zukunftsladen Toitenwinkel, ohne Anmeldung „Hinterfragen“ Info-Panels zur Geschichte und Gegenwart von Sinti und Roma in Deutschland
G E S P R Ä C H S- U N D D I S K U S S I O N S R U N D E N
25. August, 15 Uhr, vor dem Rathaus und anschließend in der Rathaushalle Feierliche Einweihung einer neuen Tafel in Erinnerung an den Protest der „Söhne und Töchter der deportierten Juden aus Frankreich“ und der Rom und Cinti Union im Herbst 1992. Anschließend Zeitzeug*innengespräch in der Rathaushalle.
28. August, 19 Uhr, FRIEDA 23, ohne Anmeldung „Sara Mardini - Gegen den Strom“ Filmvorführung und Gespräch
2. September, 15 Uhr, Interkulturelles Zentrum, ohne Anmeldung Austausch zum Thema „Alltagsrassismus“ Diskussionsrunde
7. September, 19 Uhr, Peter-Weiss-Haus, ohne Anmeldung Zivilgesellschaftliche Reaktionen auf das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992 Zeitzeug*innengespräch und Filmvorführung
L E S U N G E N, R U N D G Ä N G E, W O R K S H O P S
30. August, 19 Uhr, Peter-Weiss-Haus, ohne Anmeldung Sonnenblumenhaus Szenische Lesung
14. September, 19 Uhr, Peter-Weiss-Haus, ohne Anmeldung „Sinti und Roma in Mecklenburg und Vorpommern“ Buchvorstellung
16. September, 9 bis 15 Uhr, Zukunftsladen Toitenwinkel, Anmeldung: lichtenhagenarchiv@soziale-bildung.org Umgang mit Antiziganismus Fortbildung
23. September, 10 Uhr, Peter-Weiss-Haus, Anmeldung: lichtenhagenarchiv@soziale-bildung.org Erinnerungsorte für das Pogrom in Lichtenhagen - 5 Jahre später Stadtrundgang