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Rathausneubau: Archäologen und Kampfmittelräumer arbeiten fast Hand in Hand

Meldung vom 07.09.2023 - Bildung und Wissenschaft / Rathaus

Der Rostocker Rathauskomplex soll um zwei Neubauten ergänzt werden. Auf dem Areal zwischen Neuem Markt und Kleiner Wasserstraße lässt der Eigenbetrieb Kommunale Objektbewirtschaftung und -entwicklung (KOE) ein „Doppelgiebelhaus“ und ein Verwaltungsgebäude errichten. Flexible Raumkonzepte schaffen moderne Arbeitsbedingungen in der Stadtverwaltung, die zentrale Struktur erleichtert Behörden­gänge.

In fünf Metern Tiefe auf Blindgängersuche

Seit Ende August 2023 sind die Fachleute von Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern GmbH (AIM-V) nicht mehr allein auf der Baustelle für den Rathausneubau. Die Firma Kemmer Engineering GmbH hat am Fuß des Hangs an der Kleinen Wasserstraße mit der Kampfmittelsondierung begonnen. Die archäologischen Untersuchungen sind an dieser Stelle abgeschlossen. Auf vorerst 1000 Quadratmetern werden fünf Meter tiefe Löcher ins Erdreich bis zur Baugrubensohle gebohrt. Mit Sonden geht das Kemmer-Team anschließend auf Blindgängersuche.

Keller An der Hege freigelegt

Derweil hat das Grabungsteam um Dr. Jörg Ansorge direkt hinter dem Rathausanbau, An der Hege, die ersten Keller freigelegt. Sie gehörten zu den großen Giebelhäusern, die hier bis 1942 standen, und waren zuletzt von einem großen öffentlichen Parkplatz bedeckt. Darunter offenbaren sich nun Jahrhunderte alte Strukturen. Den Keller der ehemaligen Hausnummer An der Hege 9 datiert Dr. Ansorge „auf das frühe 14. Jahrhundert, eventuell sogar das späte 13. Jahrhundert“. Die alten Rückwände der Häuser weisen zudem eine Besonderheit auf, die Archäologen bisher nur in Rostock

feststellen konnten. Sie bestehen an den Außenseiten aus Feldsteinen. In den üblicherweise 90 cm breiten Brandmauern zwischen den Giebelhäusern konnten verschiedentlich Feldsteine im Mauerkern beobachtet werden, der auf beiden Seiten mit einem halben Backstein als glatter Schale verblendet war. Handelte es sich um eine Sparmaßnahme? Dr. Ansorge kann da nur mutmaßen.

Was hat es mit der „schiefen Wand“ auf sich?

Rätsel gibt die „schiefe Wand“ auf. Das Grabungsteam hat das sehr gut erhaltene, zusammenhängende Mauerwerk an der Rückseite des Hauses An der Hege 9 in Richtung Kleine Wasserstraße entdeckt. Rüstlöcher weisen auf eine Funktion als Außenwand hin.

Warum ist sie den Hang heruntergerutscht und hat 30 Grad „Schlagseite“, war es eine Hofmauer oder Teil eines Gebäudes? Spielte die Pest eine Rolle, die bis 1350 für entvölkerte Städte und aufgegebene Häuser sorgte? Weitere Untersuchungen sollen Aufschluss geben.

Rostock in den 1980er-Jahren als Modellstadt der Archäologie

Etwas weiter oberhalb zieht sich in Nord-Süd-Ausrichtung ein Fernwärmekanal aus DDR-Zeiten quer über die Grundstücke An der Hege. Große Rücksicht auf die mittelalterliche Bausubstanz wurde seinerzeit offensichtlich nicht genommen. Dennoch sei Rostock in den 1980er-Jahren gewissermaßen „Modellstadt“ gewesen, was die Einbeziehung von Archäologen bei Baumaßnahmen betraf, berichtet Dr. Ansorge. Fachleute wie Dr. Heiko Schäfer, heute beim Landesamt für Kultur und Denkmalpflege, Landesarchäologie tätig, hätten sich damals wenigstens um die Untersuchung der Latrinen und der darin verborgenen Funde kümmern können und damit der Stadtarchäologie Akzeptanz und Eingang in die archäologische Feldforschung verschafft.

Dr. Jörg Ansorge blickt auf die Baustelle. Die komplette Zerstörung binnen weniger Tage im 2. Weltkrieg hat eine besondere Situation geschaffen. „Wir dürfen selten ein ganzes Quartier auf einmal untersuchen.“ Das sorgt auch für die Herausforderung, möglichst den Zeitplan der bauvorbereitenden Maßnahmen einzuhalten. Und so kommt es, dass Kampfmittelsucher und Archäologen in diesen Tagen auf der Rathausbaustelle fast Hand in Hand zusammenarbeiten.