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Wenn Eltern keinen Rat mehr wissen

Pressemitteilung vom 26.04.1999


Erziehungsbeistände bieten in Problemsituationen Hilfe an/ Etwa 30 Fälle

Sie werden in der Regel dann aktiv, wenn Kinder aus dem Ruder laufen und Eltern nicht mehr weiter wissen. Sie nennen sich Erziehungsbeistände, sind mitunter unbequem und in Rostock vorwiegend weiblich.Erziehungsbeistände verstehen sich ganz und gar nicht als verlängerter Arm der Eltern. Im Mittelpunkt ihrer Bemühungen stehen Kinder oder Jugendliche zwischen acht und achtzehn, wenn es in der Erziehung Probleme gibt. Oft sind Druck und Drohungen dann nicht die geeigneten Methoden, etwas zu verändern. Sozialarbeiterinnen packen die Sache gewöhnlich anders an, allerdings nicht immer so, wie die Eltern sich das vielleicht wünschen. Das jedenfalls haben die Kolleginnen um Winfried Schulz und Annett Zierow in ihrem Arbeitsalltag erfahren.

Nehmen wir die 17jährige Uta, wie wir sie in unserer Geschichte nennen wollen. Ein verschlossener, schüchterner Teenager, der nie seine Meinung sagte, kaum lachte. Uta hatte Probleme in der Schule und keine Freunde. Sie ist eine andere geworden, mit Unterstützung der Sozialarbeiterin und durch die Arbeit in der Gruppe mit weiteren Problemkindern. Sie hat die Schule abgeschlossen, hat gelernt über sich zu sprechen. Selbstbewußter tritt sie nun aber auch ihren Eltern gegenüber, widerspricht manchmal, vertritt ihre Meinung.

Anders der Fall bei Maria (Name geändert/d. R.). Sie schwänzte die Schule, war frech, aufmüpfig und reagierte partout nicht so, wie ihre Mutter das erwartete. Ein Phänomen, das sicher viele Eltern kennenlernen, wenn ihre Kinder "in die Jahre" kommen. Nicht jeder versteht, in einer solchen Situation das Richtige zu tun. Gelassen bleiben, nicht dramatisieren, auch wenn‘s mitunter ganz dicke kommt. Das mag Außenstehenden leichter fallen. Auch Maria geht inzwischen wieder in die Schule. Mutter und Tochter werden lernen, die Eigenheiten des andern zu akzeptieren.

Zwei Beispiele von etwa 30 Fällen, die die zwölf Erziehungsbeistände des Rostocker Jugendamtes betreuen. Wann und warum Eltern an ihre Grenzen stoßen, kann unterschiedliche Gründe haben. Für die Helfer in der Not zählen Clique und Pubertät, Fernseher und Computer, Freund und Freundin, aber auch gesellschaftliche Benachteiligungen zu den immer wiederkehrenden Sorgen. Die Problemkinder kommen aus allen sozialen Schichten, sind häufig aber Haupt- oder Förderschüler. Und der Bedarf nach fachkundiger Unterstützung steigt. Vor die Veränderung haben die Erziehungsbeistände Gespräche gesetzt, in den Familien, mit den Eltern, den Kindern, auch mit Lehrern oder anderen Kontaktpersonen. Kein Allheilmittel, aber eine Chance die unterschiedlichen Ansichten kennenzulernen. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisung, auch nicht um die Schlichtung von Familienstreitigkeiten. Die Erziehungsbeistände wissen, daß sie ohne die Bereitschaft und Mitarbeit der Eltern keinen Schritt weiterkommen.

Die Bemühungen sind langwierig und führen nicht immer zum Erfolg, schränkt Annett Zierow ein. Die 33jährige Erzieherin gehört seit drei Jahren zu dieser Sozialarbeitertruppe des Rostocker Jugendamtes. Mit ihrer Kollegin Anne Pank lenkt und leitet sie jeden Mittwochnachmittag den Treff der Gruppe von elf- bis sechzehnjährigen Mädchen und Jungen, die mit sich und den Eltern ihre Schwierigkeiten haben. Regelmäßig kommen sie in das Domizil im Groß Kleiner Schiffbauerring. Fern des häuslichen Milieus redet es sich anders, hier gelten andere Regeln als in der Clique. Auslachen ist verpönt, sich dicke tun ebenso. Wer verträgt schon saftige Kommentare, wenn man über die heimlichsten Wünsche oder den ersten Freund erzählt? Im wöchentlichen Gruppentreff oder in Einzelgesprächen stärken die Sozialarbeiter behutsam aber bestimmt, das gesunde Selbstbewußtsein ihrer Schützlinge, versuchen Aggressivität und vielleicht auch kriminelle Energie nach Möglichkeit auszuschalten. Bei solchen oder ähnlich gelagerten Problemfällen bieten die Sozialarbeiterinnen ihre Hilfe an, die Eltern selbstverständlich auch ausschlagen können. Doch raten die Fachleute Scham und den inneren Schweinehund zu überwinden, um dem eigenen Kind noch eine Chance zu geben. Sabine Weigend