Wildes Land, wilde Bilder: erste große Gruppenschau der Kunstszene Usedoms in der Kunsthalle Rostock
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Die Kunsthalle Rostock erkundet die spektakuläre Kunstszene der Insel Usedom. Ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts siedelten sich die Künstlerinnen und Künstler an und sorgten für eine florierende und vielgestaltige Szene. Zu denen, die sich dauerhaft auf der Insel ansiedelten, kamen viele Gäste. Besonders nach 1945 waren das vor allem Prominente aus der DDR, die sich regelmäßig auf der Insel aufhielten. Ihnen allen ist diese Schau gewidmet - den Usedomer Lichtern - wie auch der Titel der Ausstellung ankündigt.
Eröffnet wird die Ausstellung am 30. März. Viele der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler, die noch heute auf der Insel aktiv sind, werden zur Eröffnung anwesend sein.
Den Grundstock der Ausstellung bildet die Sammlung der Kunsthalle Rostock. Seit 1969 sind kontinuierlich Werke auch von Künstlerinnen und Künstlern von der Insel Usedom angeschafft worden. Aber: "Eine große Gruppenausstellung hat es in der Kunsthalle Rostock nie gegeben", stellt Melanie Ohst fest, die die Schau zusammenstellte. So wird es erst mit dieser Ausstellung möglich, das Gemeinsame, aber auch die Unterschiede der Kreativen der Insel aufzuzeigen.
Breiten Raum nehmen die Werke Otto Niemeyer-Holsteins (1896-1984) ein. ONH, wie er von Freunden und Bewunderern genannt wurde, schenkte zu Lebzeiten rund 300 seiner Werke der Kunsthalle Rostock. ONH, der die Sehnsucht nach seiner Heimat Holstein sogar mit einem Namenszusatz zu erkennen gab, verließ die Insel nicht mehr, nachdem er sich Anfang der 1930er-Jahre dort niedergelassen hatte. So groß war seine Liebe zu Usedom, dass er zuerst in einem ausrangierten Eisenbahnwagen lebte. ONH schuf Porträts, Stillleben und Figuren, aber zentral in seinem Wirken ist die Landschaft. Der Strand, das glitzernde Wasser faszinierten den Künstler. ONH lebte in Koserow, aber für sich nannte er den zur Heimat gewordenen Flecken anders: Lüttenort.
Fast zeitgleich mit ONH kam der Maler Otto Manigk (1902-1972) auf die Insel. Die beiden kannten und schätzten sich. Es gibt ein Bild von Manigk mit Namen "Lüttenort": Weißer Sand, schäumende Wellen, tiefe Wolken. Es war nicht immer schönes Wetter auf Usedom. Licht und Landschaft faszinierten Manigk trotzdem. Er malte Häuschen mit leuchtenden Fassaden, dichte dunkle Küstenwälder. Manigk kam ab den 1930er-Jahren zunächst nur im Sommer auf die Insel, immer mit einem Schwarm Schülerinnen und Schüler im Schlepptau. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges siedelte er sich dauerhaft in Ückeritz an.
Kurz danach kam Herbert Wegehaupt. Manigk und Wegehaupt kannten sich lange, waren erst befreundet, dann verwandt. Wegehaupt heiratete Manigks Schwester. Auch Wegehaupts Bilder sind dicht und voll leuchtender Farben. Bunte Felder, weiße Häuser, immer wieder die Utensilien der allgegenwärtigen Fischer mit ihren Booten und Reusen. Herbert Wegehaupt, geboren 1905, starb viel zu früh, 1959. In seinem Haus lebt heute sein Sohn Matthias Wegehaupt (geboren 1938), ebenfalls Maler. Seine Bilder sind weniger gegenständlich, starke farbige Flächen knallen auf der Leinwand aufeinander wie schäumende Wellen auf ein steinernes Ufer. Sein Schilf ist eine leuchtend gelbe horizontale Fläche, das Meer ist ein Wirbel aus Farbe, Badende erscheinen als nachgezeichnete Schablonen. Pop-Art trifft Usedomer Schule. Im starken Kontrast ist es wieder da - dieses Leuchten.
Die Väter waren der Tyrannei des Faschismus entkommen, die Söhne kamen mitten hinein in die Enge der DDR. Oskar Manigk (geboren 1934), der Sohn Otto Manigks, blieb auf Usedom, aber in seiner Kunst sorgte er für größtmögliche Freiheit. Oskar Manigk drehte absurde Super-8-Filme, verschickte Mail-Art-Postkarten mit Bildern und Versen in alle Welt. Vor allem aber füllte er Unmengen von Leinwänden. Seine Bilder sind expressionistisch-grell, überzeichnet, ebenso finster wie humorvoll. Da begegnen naiv gekrakelte Figuren aufgeklebten Fundstücken, und manchmal sind auch Promis dabei: Amy Winehouse oder Herta Müller. Die Cousins Oskar Manigk und Matthias Wegehaupt sind übrigens bis heute Nachbarn.
Die Usedom-Sammlung der Kunsthalle Rostock ist groß, aber nicht vollständig, die Zeitgeschichte hat sich in die Kollektion eingeschrieben. "Wir können gut sehen, wer dabei ist und wer fehlt", sagt Kuratorin Melanie Ohst. Es fehlt zum Beispiel Karen Schacht (1900-1987). Ihre Bilder von rostroten Häuschen, die Wind und Wetter trotzen, ihre luftigen Landschaften stehen denen von Wegehaupt und Manigk in nichts nach. Warum ist die nicht dabei? Politik. Karen Schacht ging in den Westen. Sie liebte Usedom, aber die Enge nach dem Krieg hielt sie nicht aus. Sie war zusammen mit Otto Manigk auf die Insel gekommen, zusammen waren sie durch die Landschaft gezogen und hatten sogar dieselben Motive gemalt. 1953 ging sie nach West-Berlin. Ihre Bilder ließ sie zurück, sie wurden von der Stasi einkassiert. Melanie Ohst hat Leihgaben besorgt. Sonst wäre die Schau nicht vollständig.
Nach und nach bereicherten immer mehr Kreative die Kunstszene der Insel: Sabine Curio (geb. 1950), Susanne Kandt-Horn (1914-1996), Manfred Kandt (1922-1992), Vera Kopetz (1910-1998), Volker Köpp (geb. 1953), Rosa Kühn (geb. 1928), Rolf Werner (1916-1989). Zu den jüngsten Ansässigen gehören Brigitte Meyer (geb. 1949) und Reinhard Meyer (geb. 1951), gemeinsam mit ihrem Sohn Robert Meyer (geb. 1982). Mit ihren Werken, aber auch ihrer Galerie und gemeinsam organisierten Kulturveranstaltungen halten sie die Kunst auf der Insel am Leben.
Genau wie heute kamen auch in den vergangenen Jahrzehnten sommers wie winters Gäste auf die Insel und ließen sich inspirieren. Auch sie sind Teil der Sammlung der Kunsthalle Rostock - oder dank Leihgaben in der Ausstellung zu sehen. Zu ihnen gehören Joachim John (1933-2018), Horst Leifer (1939-2002), Wilma Pietzke (1912-1977), Wulff Sailer (1936-2024), Ernst Schroeder (1928-1989), Kurt Heinz Sieger (1917-2002), Klaus Rößler (1939-2018). Einer der berühmtesten unter ihnen dürfte der DDR-Großmaler Walter Womacka (1925-2010) sein. Tatsächlich entstand sein berühmtes Gemälde eines Paars "Am Strand" im weißen Sand von Usedom 1962 - ein Jahr nach dem Mauerbau.