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Bürgerschaftsrede zum 29. Januar 2003

Pressemitteilung vom 29.01.2003

29. Januar 2003

Bürgerschaftsrede zum 29. Januar 2003

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Mitglieder der Bürgerschaft,
meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie alle sehr herzlich zur ersten Bürgerschaftssitzung des neuen Jah-res. Ich denke, das neue Jahr ist noch nicht soweit fortgeschritten, dass ich Ihnen persönlich nicht noch alles Gute für dieses Jahr wünschen könnte.

Vor kaum mehr als einer Woche hat die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern eine Verwaltungs- und Strukturreform beschlossen, bei der die 18 Kreise und kreis- freie Städte unseres Landes voraussichtlich in vier Regionen umgestaltet werden sollen. Das Papier wurde u.a. auf einer Klausurtagung des Städte- und Gemeinde-tages Mecklenburg-Vorpommern unter den Mitgliedern ausführlich und auch kritisch diskutiert. Ich stehe in dieser Frage selbstverständlich auch in engem Kontakt mit meinen Kollegen Leuchter und da Cunha und weiss mich mit beiden Landräten in der Einschätzung des Papiers und der darin beschriebenen Planungen zur Gebietsreform einig.

Wenn denn die Verwaltungs- und Strukturreform der Landesregierung "ein großer Wurf" werden soll, wie es der stellvertretende Ministerpräsident Methling angekün-digt hat, dann müssen aber auch die berechtigten Forderungen des Städte- und Gemeindetages berücksichtigt werden. Kernstück der Reform muss eine umfassen-de Neuorganisation der Verwaltung sein mit dem Ziel der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Hierfür ist die Gebietsreform erforderlich, sie ist kein Selbstzweck. Es muss darum gehen, im Sinne der Subsidiarität den jeweiligen Regionen wieder mehr Aufgaben zu übertragen und damit mehr Verantwortung und Handlungsspiel-räume zu eröffnen. Wir müssen wieder ganz neu fragen, welche Aufgaben wo am besten erledigt werden können. Selbstverständlich müssen dafür die Städte und Gemeinden auch entsprechend finanziell ausgestattet werden. Die zusätzlichen Spielräume, die durch Verwaltungs- und Strukturreform eröffnet werden können, müssen auch bei den Kommunen wirklich angekommen. Sonst wird das Vorhaben kein großer Wurf, sondern nur eine Fehlzündung.

Eine mutige Verwaltungsreform und die geplante Regionalstruktur können dagegen wichtige Ansätze auf dem Weg zur Bewältigung der schweren Finanzkrise sein, in der wir uns, und mit uns viele Kommunen Mecklenburg-Vorpommern und im ganzen Bundesgebiet, im Jahr 2003 und in den kommenden Jahren befinden werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ein Defizit von 204,8 Mio EURO im städtischen Haushalt - diese Aussicht kann je-dem Kommunalpolitiker den Schweiss auf die Stirn treiben. 204,8 Mio EURO beträgt das mögliche Defizit der Hansestadt Rostock im Jahr 2006. Der mit dem Haushalts-plan 2003 vorgelegte Finanzplan geht von einer Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben aus, die diesen Fehlbetrag im Jahre 2006 voraussichtlich ausweist. Ein steigendes strukturelles Defizit und die noch auszugleichenden Defizite der Vorjahre lassen den Fehlbetrag auf diese schwindelerregende Höhe anwachsen. Die Summe gibt einen Eindruck davon, auf welche finanzielle Lage wir zusteuern und wie ein-schneidend und mutig deshalb die Maßnahmen sein müssen, um dieser Entwicklung zu begegnen.

Leider ist es nicht sehr trostreich, dass sich Rostock dabei in guter Gesellschaft be-findet. Der Haushalt 2003 und die Haushalte der kommenden Jahre werden fast al-len Verantwortlichen auf kommunaler Ebene einiges abverlangen. Die Finanzsituati-on der Städte und Gemeinden in der gesamten Bundesrepublik ist mehr als drama-tisch. Selbst vorsichtige Prognosen gehen von einer weiteren Zuspitzung der Lage aus. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat deshalb die Kampagne "Rettet die Kommunen" initiiert, um die katastrophale Situation der Städte und Gemeinden ins Zentrum des Bewußtseins der Politik auf Bundes- und Landesebene zu rücken und auf Soforthilfe zu drängen. Auch wenn die Gemeindefinanzreform der Bundes-regierung noch in diesem Jahr beschlossen werden soll, so werden die erwarteten positiven Effekte aller Wahrscheinlichkeit nach erst zum Haushalt 2005 überhaupt spürbar werden.

Viele Städte und Gemeinden in Deutschland können darauf nicht warten, weil sie schon jetzt fast handlungsunfähig sind. Die Hansestadt Rostock gehört dazu. Die Ihnen vorliegende Haushaltssatzung geht schon für das Jahr 2003 von einem Fehl-bedarf von 59,3 Mio EURO aus. Zu einem Altdefizit von 11,8 Mio EURO aus dem Vorjahr kommt ein strukturelles Defizit von 41,1 Mio EURO.

Wie Sie alle wissen, ist der Haushalt einer Gemeinde nach § 43 Abs. 2 der Kommu-nalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) in jedem Jahr aus-zugleichen. Ein Haushalt ist dann ausgeglichen, wenn die Einnahmen im Verwal-tungshaushalt mindestens ausreichen, um sowohl die Ausgaben des Verwaltungs-haushaltes wie auch eine Zuführung an den Vermögenshaushalt in Höhe der planmäßigen Tilgung abzudecken. Der Tatsache, dass diese Bemühungen nicht in jeder Gemeinde und nicht in jedem Jahr zum Haushaltsausgleich führen, trägt die Vor-schrift des § 43 Abs. 3 KV M-V Rechnung. Hiernach kann die Gemeindevertretung einen unausgeglichenen Haushaltsplan verabschieden, wenn sie ein Haushaltssi-cherungskonzept beschließt.

Damit ist allerdings keine Gleichzeitigkeit der Beschlussfassung im engeren Sinne gemeint. Ich erwähne diesen Punkt, weil die Aussage in der Kommunalverfassung anscheinend bei vielen unter Ihnen immer noch zu Irritationen und dem Missver-ständnis führt, dass mit der Haushaltssatzung das Haushaltssicherungskonzept heute behandelt und beschlossen werden müsse.

Die 1. Ergänzung zum Haushaltssicherungskonzept 2002 - 2005 mit der Fortschrei-bung bis 2006 ist den Vorsitzenden der Fraktionen bereits zugegangen und wird noch in dieser Woche an die Damen und Herren der Bürgerschaft verteilt werden. Danach kommen die Ausschüsse, vorwiegend in der 7. und 8. Kalenderwoche, zu-sammen, um das Haushaltssicherungskonzept zu beraten. Vor der Beschlussfas-sung der Bürgerschaft wird das Konzept noch mit der Rechtsaufsicht beraten, um dann von Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, am 5. März 2003 be-schlossen zu werden. .

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Mitglieder der Bürgerschaft,

die stetige Aufgabenerfüllung ist oberster Grundsatz der gemeindlichen Haushalts-wirtschaft. Die der Hansestadt Rostock zur Verfügung stehenden Einnahmen sowie die bestehende Ausgabenstruktur führen dazu, dass die Hansestadt Rostock diesen obersten Grundsatz auch durch die Umsetzung des Haushaltssicherungskonzepts 2002-2005 nicht mehr wird erfüllen können. Die sich fortsetzenden Mindereinnah-men durch die Steuereinbrüche bei der Gewerbeertragssteuer und bei dem Ge-meindeanteil an der Einkommensteuer sowie insbesondere steigende Sozialkosten (nicht zuletzt verursacht durch die hohe Arbeitslosigkeit) und steigende Personal-ausgaben reduzieren den kommunalen Gestaltungsspielraum auf Null. Die Kreditfä-higkeit der Hansestadt Rostock ist nicht mehr gegeben und wird zu weiteren erhebli-chen Einschränkungen der Investitionstätigkeit der Stadt führen.

Deshalb gibt es keine Alternative zu neuen weiterreichenden Maßnahmen zur Aus-gabenreduzierung, wie sie Ihnen im Haushaltsplanentwurf und in der Ergänzung des Haushaltssicherungskonzeptes 2003 - 2006 vorgelegt werden.

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

die Diskussionen zur Haushaltssatzung 2003 in den Fachausschüssen und Fraktio-nen und die zahlreichen Änderungsanträge lassen schon erahnen, dass wir heute eine hitzige Auseinandersetzung erwarten können. Im März bei der Debatte über das ergänzende Haushaltssicherungskonzept kommt es dann aber zum eigentlichen Schwur, ob wir alle die Kraft und den Mut aufbringen, auch schmerzhafte und unpo-puläre Entscheidungen zu treffen. Die Bürgerinnen und Bürger können mit Fug und Recht von uns erwarten, dass wir diese schwierige Situation gemeinsam und ge-schlossen meistern. Mit dem ergänzenden Haushaltssicherungskonzept sind gravie-rende Einschnitte im Bereich der freiwilligen Leistungen verbunden, die für alle Ro-stockerinnen und Rostocker in ihrem täglichen Leben spürbar werden. Es wird unse-re Aufgabe sein, diese Einschnitte in gemeinsamer Verantwortung zu vertreten und zu vermitteln.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Mitgliedern dieser Bürgerschaft bedan-ken, die mit der prekären Finanzlage der Stadt und den schwierigen Entscheidun-gen, die von uns zu treffen sind, in verantwortungsvoller und konstruktiver Weise umgehen. Im städtischen Anzeiger diesen Monats ist auf maßgebliche Beteiligung eines Bürgerschaftsmitgliedes ein Artikel über die Haushaltssituation der Stadt erschienen, der die Bürgerinnen und Bürger an der Diskussion beteiligen soll. Auch dafür bedanke ich mich sehr herzlich. Leider haben sich die Erwartungen an diesen Artikel bislang nicht erfüllt, denn bis dato sind nur drei Anfragen zu diesem Thema an die Pressestelle der Stadt gestellt worden.

Meine Damen und Herren,
noch einmal: nur durch gemeinsames und geschlossenes Vorgehen können wir die Menschen von der Alternativlosigkeit dieser Maßnahmen überzeugen. Parteipoliti-sches oder gar persönliches Profilierungsstreben ist in dieser Situation nur schädlich und wird von den Bürgerinnen und Bürgern sicherlich nicht honoriert.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen, damit ich nicht falsch verstanden werde: das Einzelinteressen klar und nachdrücklich formuliert werden, ist legitim und verständlich. Es gehört zum Wesen und zur Stärke der Demokratie, dass sich Minderheitenmeinungen und Partikularin-teressen Gehör verschaffen und Berücksichtigung finden. Aber - und das sage ich mit aller geboten Klarheit und Entschiedenheit: die Summe der Partikularinteressen ergibt noch lange nicht das Gemeinwohl!

Leider hat sich diese Erkenntnis noch nicht bei allen Mitgliedern der Bürgerschaft und der Verwaltungsspitze durchgesetzt. Ich bedauere sehr, dass ich auch nach wie vor nicht erkennen kann, dass hier ein Umdenkungsprozess stattfindet. Noch be-dauerlicher ist es, dass ein Mitglied der Verwaltungsspitze meiner Meinung nach besonders unverantwortlich handelt. Profilierungsbestrebungen einzelner mögen den Aufmerksamkeitsgrad in der Presse erhöhen, zeugen aber mitnichten von dem notwendigen Verantwortungsbewußtsein - ein Verantwortungsbewußtsein, dass für Verwaltungsspitze und Selbstverwaltung selbstverständlich sein sollte.

In diesem Zusammenhang ist es wenig verantwortungsbewußt und sowohl für die Mitglieder dieses Hauses wie auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung eine Zumutung, wenn eine Flut von Änderungsanträge erst am Tag vor der Bürgerschaftssitzung eintrifft, obwohl acht Wochen Beratungszeit zur Verfü-gung standen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier weniger um die Sache als vielmehr um das persönliche Geltungsbedürfnis oder bestenfalls um Aktionismus geht.

Darüber hinaus kann ich mich nur wundern über den Wissensdurst einiger Mitglie-der dieser Bürgerschaft. Die Zahl der kleinen Anfragen, die heute auf der Tagesord-nung stehen, strapazieren nicht nur über alle Maßen die Langmut des Hauses, sie belasten auch die Verwaltung über Gebühr. Zur Klarstellung: ich stelle damit kei-neswegs das Instrumentarium selbst in Frage, sondern nur dessen Gebrauch. Durch Ihre vielfältigen Beratungen und Kontakte zur Verwaltungsebene können Sie fast jederzeit wichtige Fakten und Informationen auf kurzem Wege einholen. Die kleine Anfrage ist beileibe nicht die einzige Möglichkeit, detailliertes Wissen über Vorgän-ge und Sachverhalte zu erwerben. Auch hier stelle ich gerne nochmals die Frage in den Raum: Geht es Ihnen allen wirklich allein um die Sache?

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

der Segelstadtvertrag der Hansestadt Rostock steht heute auf der Tagesordnung. Rostock will und wird Ausrichter der olympischen Segelwettbewerbe im Jahre 2012 sein, davon bin ich mehr denn je überzeugt. Um den Anforderungen eines Austra-gungsortes olympischer Wettbewerbe gerecht zu werden, sind allerdings außeror-dentliche Anstrengungen und Mut zur Investition in die Zukunft erforderlich. Die Hö-he der Ausgaben, die getätigt werden müssen, scheinen angesichts der prekären finanziellen Lage unserer Stadt in der Tat enorm. Um die Bewerbung weiterhin ab-zusichern, sind in dem Haushalt, der heute zur Beratung vorliegt, vorerst ca. 2. Mio EURO eingestellt.
Wir werden aber auch zukünftig Geld ausgeben müssen, wenn wir diese einmalige Chance für Rostock nutzen wollen. Ausgaben in einem Gesamtvolumen von 50 Mio EURO, verteilt über einen Zeitraum von 10 Jahren, müssen aufgebracht werden, um das Großprojekt zu finanzieren. Wie gesagt: eine enorme Summe, insbesondere angesichts der schwierigen Haushaltslage, mit der wir sicher noch auf einige Jahre konfrontiert sein werden.

Und dennoch: angesichts der zu erwartenden Profite für Stadt und Land, und dies meine ich nicht nur im Hinblick auf Einnahmen in EURO und Cent, ist das Geld her-vorragend angelegt.

Olympische Segelwettbewerbe in Rostock sind eine einzigartige Chance für Stadt und Land. Die Rostockerinnen und Rostocker haben ihren Beitrag durch ihre Begei-sterung und ihren sportlichen Enthuasiamus geleistet. Sie, meine Damen und Her-ren, sind aufgefordert, in die Zukunft dieser Stadt zu investieren, in dem Sie dem Segelstadtvertrag der Hansestadt Rostock zustimmen. Und ich gehe davon aus, dass die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern ihren Beitrag dazu leisten wird, diese Mammutaufgabe mit uns gemeinsam zu stemmen. Wir brauchen und wir wollen die Unterstützung des ganzen Landes für dieses einmalige Ereignis Olympi-sche Segelwettbewerbe in der Hansestadt sind für ganz Mecklenburg-Vorpommern eine immense Chance, deren positive Auswirkungen gar nicht zu beziffern sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der Lübecker Oberbürgermeister Bernd Saxe hat vor kurzem gesagt: "Olympia ist mit Gold nicht aufzuwiegen". Und weil das so ist, können wir - bei aller hanseatischen Verbundenheit - Olympia wahrlich nicht den Lübeckern überlassen und holen die Segelwettbewerbe nach Rostock! Es gilt das gesprochene Wort.
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