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Die Hansestadt Rostock heute - 10 Jahre danach

Pressemitteilung vom 23.08.2002



Sehr geehrter Minister Timm,
sehr geehrter Minister Sellering,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
verehrte Gäste,

zehn Jahre nach den furchtbaren Ereignissen der Augusttage 1992 ist das Augenmerk der nationale Öffentlichkeit wieder auf die Stadt Rostock gerichtet. Von ausgeprägtem und verständlichem Interesse ist allerorts die Frage, wie die Stadt, [...] in den letzten 10 Jahren mit dem schwierigen Erbe umgegangen ist, das die ausländerfeindlichen Ausschreitungen im August 1992 hinterlassen haben. Wie sieht sie aus, die Hansestadt Rostock, zehn Jahre danach?

Erlauben Sie mir, zu Beginn meiner Ausführungen aus der Presseerklärung des Vereins “Dien Hong" vom 19. August 2002 zu zitieren, in der es unter anderem heißt:

".[Und] die Verantwortlichen in der Verwaltung und der Bürgerschaft haben aus unserer Sicht aus dieser Katastrophe gelernt, die die damals im Hochhaus eingeschlossenen Vietnames[i]nnen und [Vietnamesen so- wie] Deutschen hauptsächlich, aber seit Jahren die gesamte Hansestadt Rostock, betrifft. Die klare politische Ausrichtung für ein interkulturelles und gewaltfreies Zusammenleben von Minder- und Mehrheiten, [..], die auch finanzielle Unterstützung von MigrantInnenvereinen, die Einbeziehung des seit 1992 existierenden Ausländerbeirats in die kommunalen Angelegenheiten, die dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden und Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern oder die Unterstützung der Ziele der Bürgerinitiative Bunt statt Braun e.V. sind für Diên Hông wich-tige Signale auch im Alltag. "

Aus Sicht der damals Betroffen haben die Träger politischer Verantwortung in Rostock aus der Katastrophe gelernt. Ich gehe aber noch einen Schritt weiter, wenn ich die These aufstelle, dass nicht nur Stadtverwaltung und Bürgerschaft Lehren und Konsequenzen gezogen haben, sondern dies auch für viele andere gesellschaftliche Kräfte und Gruppen in unserem Gemeinwesen gilt. Nachdem eine Reihe von Fehlern von verschiedener Seite gemacht worden waren, hat sich Rostock in einem stetigen und wechselseitigen Prozess zu einer Stadt entwickelt, in der die Kooperation und der tägliche Umgang von Politik, Migrantinnen und Migranten, Initiativen, Verbänden und Vereinen von einem aufrichtig partnerschaftlichem Miteinander geprägt ist.

Die Hansestadt Rostock hat sich ihrer Verantwortung gestellt - für Menschen, die bei uns um Aufnahme und Asyl nachsuchen und deren Aufenthaltsdauer in unserer Stadt begrenzt oder zumindest ungewiss ist. Und Rostock hat Verantwortung übernommen für die Migrantinnen und Migranten, die auf Dauer in unserer Stadt leben.

Nach den jüngsten Zahlen der Ausländerbehörde lebten am 30. Juni 2002 5088 Migrantinnen und Migranten in Rostock. Diese Zahl ist vergleichsweise gering. Der prozentuale Anteil von 2,5 Prozent Ausländerinnen und Ausländern steht nämlich einem Bundesdurchschnitt von neun Prozent und einem Durchschnittswert von Städten vergleichbarer Größe von 15 bis 20 Prozent gegenüber.

Von den eben genannten 5088 Migrantinnen und Migranten sind 459 Personen Asylsuchende mit noch laufendem oder bereits abgeschlossenem Aufnahmeverfahren. 750 Personen studieren in Rostock. Auch von dieser Personengruppe kann man also nur von einem vorübergehenden Aufenthalt ausgehen. Das heißt, dass 3879 Personen oder 76,3 Prozent aller in Rostock lebenden Personen ausländischer Herkunft auf Dauer in dieser Stadt leben werden.

Wieauch immer der Aufenthaltsstatus oder Aufenthaltswille der Menschen sein mag, ob auf begrenzte Zeit oder auf Dauer in Rostock lebend: Alle diese Menschen gehören zu unserer Stadt und damit stehen die Stadt und ihre Bewohner ihrerseits in der Verantwortung.

Meine Damen und Herren,

die konsequente Übernahme von Verantwortung war auch Ausgangspunkt für ein neues Nachdenken über die Situation und Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Rostock.

Die Unterbringungen in Asylbewerberheimen ist für die meisten Bewohnerinnen und Bewohner ohnehin sehr schwierig und bedrückend. Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, um Zuflucht in einem fremden Land zu suchen, haben viel Leid erfahren. Sie haben ihre Heimat, ihre Angehörigen, Kollegen und Nachbarn verlassen müssen, sie leben in großer Ungewissheit über ihre Zukunft, sie müssen sich in der Regel in beengten Verhältnissen mit Angehörigen unterschiedlichster Nationalitäten arrangieren und sind meist durch ihren Status als Asylsuchende zur Untätigkeit verdammt.

Darüber hinaus leben sie oft isoliert außerhalb von Städten und Gemeinden in ehemaligen Militärkasernen, ohne in das gesellschaftliche Leben der Stadt eingebunden zu sein.

In Rostock wurde nach den Ausschreitungen in Lichtenhagen und der Schließung der Zentralen Aufnahmestelle in Hinrichshagen ein anderer Weg gesucht. Nicht mehr große, zentrale und abgelegene Wohnheime, sondern kleine Wohneinheiten inmitten der Stadt sollten die Kontaktaufnahme und das Zusammenleben von Asylsuchenden und Bevölkerung erleichtern und Konfliktpotentiale so gering wie möglich halten. Darüber hinaus sollten Familien mit Kindern, die schon lange in den beengten und schwierigen Verhältnissen der Asylbewerberheime lebten, die Möglichkeit erhalten, dezentral in Wohnungen untergebracht zu werden. Im Durchschnitt sind dies heute etwa 20 Prozent der Asylsuchenden.

Insbesondere mit dem letztgenannten Vorstoß brachte die Hansestadt sich zunächst in Konflikt mit der Landesgesetzgebung, die eine solche Unterbringung nicht vorsah. Schließlich hatte die Stadt aber mit ihrem innovativen Ansatz Erfolg. Durch einen Erlass des Innenministeriums können nun auch in anderen Landesteilen und Kommunen Mecklenburg- Vorpommerns Flüchtlingsfamilien dezentral in Wohnungen untergebracht werden.

In Rostocks Kröpeliner-Tor-Vorstadt, also mitten in der Hansestadt, gibt es ein Asylbewerberheim, das schon rein äußerlich kaum als typisches Flüchtlingsquartier zu identifizieren ist. Die Unterkunft hat jedoch noch eine weitere Besonderheit. Sie wird von einem Verein, der in der entwicklungs- und flüchtlingspolitischen Szene der Stadt Rostock aktiv ist, dem Ökohaus e.V., betrieben.

Den Sorgen und Ängsten der Nachbarschaft, die sich gegen die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft mit einer Bürgerinitiative wehrten, begegneten die Betreiber mit großer Transparenz und konnten die vorgebrachten Bedenken in vielen Gesprächen letztendlich entkräften. Heute trifft sich vierteljährlich ein Arbeitskreis, dem auch einer der Initiatoren der Bürgerinitiative angehört, um die Situation in der unmittelbaren Umgebung der Unterkunft zu beurteilen und aufkeimende Konflikte zu klären.

Meine Damen und Herren,

jede Rostockerin und jeder Rostocker, die oder der auf Dauer in unserer Stadt lebt, ist - unabhängig von ihrer bzw. seiner Herkunft - mitverantwortlich für die Geschicke und das Miteinander in unserer Stadt.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal kurz den Verein “Dien Hong" erwähnen, auch wenn Herr Thinh bereits sehr engagiert und eindrucksvoll von den vielfältigen Wirkungs- und Arbeitsbereichen des Vereins berichtet hat.

Sie werden mir sicher zustimmen, dass das Verhalten der Opferrassistischer Gewalt unseren tiefsten Respekt und unsere Anerkennung verdient. Die Betroffenen haben sich nicht von der Stadt und ihren Bewohnern abgewandt, was eine durchaus verständliche Reaktion gewesen wäre. Das Gegenteil war der Fall. Schon in der Notunterkunft haben Vietnamesinnen und Vietnamesen für ihr Leben in der Hansestadt ihrerseits Verantwortung übernommen und sind aktiv auf die Rostockerinnen und Rostocker zugegangen und haben im Oktober 1992 den Verein “Dien Hong - Gemeinsam unter einem Dach" mit Sitz im Sonnenblumenhaus gegründet und den Kontakt und Austausch mit der Nachbarschaft und der Rostocker Bevölkerung gesucht.

Aktiv gestalten auch die Mitglieder des Rostocker Ausländerbeirats die Geschicke unseres Gemeinwesens mit. Bereits 1990 war angesichts der wachsenden Fremdenfeindlichkeit und des zunehmenden Nationalismus unmittelbar nach dem Fall der Mauer die Idee entstanden, einen ehrenamtlichen Ausländerbeirat in der Hansestadt zu gründen.

Die rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 gaben den letzten Anstoß zum Handeln, so dass im Oktober 1992 der erste Ausländerbeirat der Hansestadt Rostock (ABRO) gewählt wurde. Der Ausländerbeirat ist in Rostock ein wichtiges kommunales Forum, um die Interessen der ausländischen Einwohner und Einwohnerinnen zu vertreten. Unsere Kommune ist da Vorreiterin im Land, denn wir verfügen als einziges Gemeinwesen in Mecklenburg- Vorpommern über ein Gremium dieser Art.

Etwa 3.300 Wahlberechtigte wählen alle fünf Jahre ihren Beirat. Deutschlandweit ist es nur in Rostock möglich, dass auch Asylbewerber, die mehr als drei Monate in der Stadt wohnen, ihren Ausländerbeirat wählen können. Das passive Wahlrecht erhalten die Wahlberechtigten dann nach einem Jahr Aufenthalt in Rostock.

Nun ist die Tatsache, dass in Rostock ein Ausländerbeirat existiert, zwar bemerkenswert, aber ist für sich genommen noch kein Indiz für ein partnerschaftliches und fruchtbares Miteinander von Stadtverwaltung und Bürgerschaft. Aber eben dieses partnerschaftliche Miteinander und die Interessenvertretung auf gleicher Augenhöhe machen diesen Beirat zu einem wichtigen Gestalter des friedlichen und toleranten Zusammenlebens in Rostock.

Die Vertreter des Ausländerbeirats nutzen die Möglichkeit, ihre Anliegen in Gesprächen mit den Fraktionen oder dem Oberbürgermeister vorzutragen, in den Ausschüssen der Bürgerschaft gehört zu werden oder in den Sitzungen der Ortsbeiräte vorzubringen, wo sie insbesondere in Stadtteilen mit größeren Ausländergruppen vertreten sind.

Ich nehme gerne heute Abend die Gelegenheit wahr und bedanke mich bei allen Angehörigen des Ausländerbeirats für Ihre Arbeit und Ihr Engagement. Ich verbinde diesen Dank mit der Aufforderung, sich auch in Zukunft kräftig einzumischen und für Ihre Belange stark zu machen. Ar- tikulieren Sie Ihre Interessen und Bedürfnisse, machen Sie deutlich, wo der Schuh drückt, arbeiten Sie mit an den Lösungen und gestalten Sie weiterhin mit uns zusammen das Leben in der Hansestadt.

Nach den Augusttagen 1992 sind in Rostock immer wieder Gruppen und Einzelpersonen gegen rechtsextremistische Gewalt und Ausländerhass und für Toleranz und Zivilcourage aktiv geworden. Stellvertretend für viele andere nenne ich die Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugend und Schule. Der Verein ist in einem bundesweiten Netzwerk eingebunden und führt Projekte zur Demokratieerziehung von Jugendlichen durch.

Ein breites Bündnis des Widerstands gegen Rechts formierte sich in Rostock aber erst im Sommer 1998, als organisierter Rechtsextremismus in Gestalt der NPD vor dem Sonnenblumenhaus eine Demonstration anmeldete. Rostocker Jugendliche, vornehmlich aus dem Jugendalternativzentrum e.V. initiiertendieses Bündnis, in dem sich über 60 Organisationen, Unternehmen und Initiativen zusammen schlossen und der rechten Provokation das Motto “Bunt statt Braun" entgegen stellten.

Weil ausländerfeindlich motivierte Provokation und Gewalt aber kein temporäres, sondern ein dauerhaftes Problem ist, haben sich einige der damaligen Initiatoren dazu entschlossen, aus dem lockeren Bündnis einen dauerhaft arbeiteten Verein zu machen, was dann im Jahre 2000 schließlich realisiert wurde.

“Bunt statt Braun" ist immer dann in Rostock präsent, wenn es gilt, gegen Rechtsextremismus und für Toleranz und Zivilcourage Flagge zu zeigen. Eine breite Basis und ein festes Netzwerk für den Kampf gegen den Rechtsextremismus und für eine offene, tolerante Gesellschaft zu schaffen, ist Ziel des Vereins.

Ich bedanke mich an dieser Stelle sehr herzlich bei den Mitgliedern des Vereins “Bunt statt Braun e.V." und dem Ausländerbeirat, den Sponsoren und Förderern und bei den vielen Helfern und Sympathisanten, die mit Engagement und Enthusiasmus das morgige Friedensfest vor dem Sonnenblumenhaus vorbereitet haben. Das Friedensfest ist mittlerweile schon Tradition. Das morgige Fest soll und wird insbesondere “10 Jahre danach" ein Zeichen setzen, dass Intoleranz, Ausländerfeindlichkeit, Hass und Gewalt in unserer Stadt keinen Platz haben.

Meine Damen und Herren,

Gewaltfreiheit und Toleranz gegenüber Ausländerinnen und Ausländern sind die Grundvoraussetzungen für ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben in der Hansestadt. Toleranz muss jedoch mehr sein als Gleichgültigkeit, wenn sie nicht eine äußerst unbeständige Größe bleiben soll. Wenn die eigene tägliche Lebensführung von dem “Anderen", dem “Fremden" nicht berührt wird, ist Toleranz zu üben wahrlich nicht schwer. Es erfordert allerdings weit mehr Anstrengung und Bemühen, eine fremde Lebensweise wirklich verstehen zu wollen, sich mit ihr aus-einander zu setzen und mit dieser Erkenntnis auch den weit beständigeren und belastbareren Respekt für die Ausländerinnen und Ausländer sowie ihre Kultur zu gewinnen.

In der Hansestadt Rostock ist im Laufe der Jahre eine breite Landschaft von ausländischen Vereinen entstanden, die die Sprache und Kultur des Herkunftlandes pflegen und uns mit ihrer Kultur bekannt machen wollen.

Viele Vereine und Gruppen, die im weitesten Sinne auf interkulturellem Gebiet tätig sind, haben im Waldemarhof ihren Sitz. Der “Waldemar Hof" in der Kröpeliner-Tor-Vorstadt ist ein seit dem 1. Oktober 1999 arbeitendes Zentrum für Toleranz und ein friedliches Miteinander. Neben Talide e.V., einem Verein zur Förderung der Integration und Reintegration von Menschen lateinamerikanischer Herkunft in Deutschland, sind auch der Ausländerbeirat der Hansestadt Rostock, der Verein Dien Hong, der Verein der Freunde der russischen Sprache, die Union der togolesischen Staatsbürger in Mecklenburg-Vorpommern, die Afrikanische Bürgerinitiative und andere Gruppen hier zu finden.

Zur Vereinslandschaft hinzu zu zählen sind der Islamische Bund und der Deutsch-Islamische Treffpunkt, die allerdings nicht im Waldemarhof beheimatet sind.

An dieser Stelle möchte ich auch die Jüdische Gemeinde in Rostock nicht unerwähnt lassen. Die Jüdische Gemeinde ist selbstverständlich eine Glaubensgemeinschaft und kein Verein. Da die jüdische Gemeinde in Rostock aber aus russischsprachigen Einwanderern besteht, ist sie unbedingt dazu zu zählen. Es ist außerordentlich zu begrüßen, dass jüdisches Leben in Rostock im Max-Samuel-Haus wieder eine Heimat gefunden hat - in einem Haus, in dem Kontakte zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Weltanschauung und Religion geknüpft werden können.

Sehrgeehrte Damen und Herren,

seit mehreren Jahren finden in Rostock die multikulturellen Wochen statt. Unter der Regie des Ausländerbeirats wird von verschiedenen Vereinen ein bunter Mix aus kulturellen und sportlichen Veranstaltungen, Vorträgen und Ausstellungen, Weiterbildungsmöglichkeiten, Werkstatttagen und Diskussionsforen organisiert . Das Angebot ist über die Jahre zahlreicher und vielfältiger geworden und immer mehr deutsche und ausländische Vereine beteiligen sich.

Aber auch in den anderen Wochen des Jahres haben wir die Möglichkeit, uns mit einer uns fremden Kultur oder Sprache auseinander zu setzen.

Im Schülermalprojekt “Vietnam und Deutschland - so nah und doch so fern" setzen sich Schülerinnen und Schüler der Großen Stadtschule Rostock und des Gymnasiums aus Da Nang in Vietnam künstlerisch mit der eigenen und der fremden kulturellen Identität auseinander. Im Oktober ist das Ergebnis in Form einer Ausstellung im Rathaus zu begutachten.

Das seit 1998 arbeitende Theaterprojekt “Mechaje" ist einer der wichtigsten Kulturbotschafter der Jüdischen Gemeinde innerhalb der Bundesrepublik. Das nicht-jüdische Publikum erhält bei den Theateraufführungen nicht nur einen Einblick in die Geschichte des Judentums, in die jüdische Religion und in die traditionelle Kultur sondern wird auch mit der Lebenssituation der in Mecklenburg-Vorpommern ansässigen jüdischen Bürger bekannt gemacht. Mit den Mitteln der Kunst wird zugleich der Kommunikationsprozess zwischen der jüdischen Gemeinde und einer nicht-jüdischen deutschsprachigen Umwelt gefördert. Die Liste wäre noch lang, ich möchte es allerdings bei diesen Beispielen belassen.

Erlauben Sie mir aber, nochmals zum Waldemarhof zurück zu kehren. Interessant an diesem Zentrum ist der integrative Grundgedanke des gesamten Projektes, denn neben den Vereinen und Gruppen, die im weitesten Sinne auf interkulturellem Terrain tätig sind, haben zwei Be- hindertenprojekte, eine Kindertagesstätte, die Tonwerkstatt mit ihren Instrumenten und die Tanzabteilung des Konservatoriums in der Walde- marstraße Quartier bezogen.

Der Waldemarhof wirkt dabei auf den Besucher wie ein quirliger Mikrokosmos, in dem multikulturelle Normalität gelebt wird. Das Zusammenspiel verschiedenster Erfahrungshintergründe, Interessensgebiete, Altersstufen und Zielvorstellungen bleibt jedoch nicht ohne Konflikte und bedarf selbstverständlich der stetigen Aussprache und Lösungssuche. Aber genau dies macht ja die Normalität und Selbstverständlichkeit im Umgang aus, die auch die Beauftragte für Ausländerfragen der Bundesregierung, Marie-Luise Beck, bei ihrem Besuch hier in Rostock besonders hervorgehoben hat.

Das, was sich im Waldemarhof an einem Ort konzentriert, ist auch in der gesamten Stadt zu spüren. Die multikulturelle Vereinslandschaft ist in Rostock nicht nur bunt und vielfältig, sie befindet sich auch miteinander und mit anderen gesellschaftlichen Gruppen in einem ständigen partnerschaftlichen Kontakt und Austausch.

Wir wünschen uns von den Menschen, die auf Dauer in Rostock leben, die Bereitschaft, sich auf unsere gesellschaftliche Realität, unsere Lebensweise und Wertvorstellungen einzulassen. Dieser Wunsch ist legitim. Allerdings ist es nicht nur ebenso wünschenswert, sondern vielmehr zwingend notwendig, dass auch ausreichende und adäquate Angebote und Leistungen zur Verfügung gestellt werden, um Migrantinnen und Migranten die erforderliche Integration und eine berufliche Zukunft überhaupt erst zu ermöglichen.

Nichts öffnet den Zugang zu anderen Kulturen besser als das Beherrschen ihrer Sprache. Ausreichende Sprachkenntnisse fördern die Ver-ständigung und das gegenseitige Verstehen, ermöglichen erst ein feineres Erfassen von Nuancen bei Wertungen und Einschätzungen. Die Sprache als Mittel der Kommunikation und als kulturelle Leistung ist ein wesentlicher Teil der Identität eines jeden Volkes. Deshalb ist das Beherrschen der Sprache des Gastlandes bzw. der neuen Heimat ein zentrales Element, wenn Integration gelingen soll.

Die Wohlfahrtsverbände sind wichtige Partner und Verbündete, wenn es darum geht, zur Integration ausländischer und ausländischstämmiger Kinder, Jugendlicher und Erwachsener bei zu tragen. Das Jugendgemeinschaftswerk der Arbeiterwohlfahrt arbeitet mit Spätaussiedlern, während im Übergangswohnheim des Deutschen Roten Kreuzes ein niedrigschwelliges Beratungsangebot für Migrantinnen und Migranten besteht.

Aber auch die eben erwähnten Vereine bieten Projekte und Beratungen zur Förderung der Integration an. Eines dieser Projekte ist gestern als Preisträger des “Wettbewerbs zur Integration von Zuwanderern" vom Bundespräsidenten Johannes Rau ausgezeichnet worden. Ich denke, dass ich auch in ihrem Namen spreche, wenn ich dem Verein “Dien Hong" dazu herzlich gratuliere.

Unter 1300 Bewerbern konnte sich das innovative Projekt des Vereins unter dem Titel “MIGRA" durchsetzen und wurde als eines von zehn Preisträgern geehrt. Mit einem ganzen Bündel von Aktivitäten will MIGRA die berufliche Integration von Migrantinnen und Migranten mit einem verfestigten Aufenthaltsstatus erleichtern: Feststellungsmaßnahmen, Berufswegeplanung, berufsvorbereitende und arbeitslebenorientierte Sprachkurse und teilnehmerorientierte Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen sind nur einige Stichpunkte, die dieses innovative Projekt kennzeichnen.

Insbesondere seit diesem Projekt ist Dien Hong eine wichtige Schaltstelle zwischen verschiedenen Institutionen der sprachlichen und beruflichen Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten und arbeitet mit verschiedensten Trägern entsprechender Maßnahmen, wie z.B. der Europäischen Wirtschafts- und Sprachenakademie Rostock oder der Volkshochschule, eng zusammen.

Dieser Weg der engen Vernetzung und des partnerschaftlichen Miteinanders in allen Fragen der Förderung der Integration ist zukunftsweisend und sollte deshalb weiter intensiv verfolgt werden. Hier stehen wir weiterhin in der Verantwortung, Migrantinnen und Migranten ausreichende und bedürfnisorientierte Integrationsangebote zu machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

“10 Jahre danach" hat die Hansestadt Rostock aus der Katastrophe 1992 gelernt und die richtigen Konsequenzen gezogen. Die Stadt hat ihre Verantwortung erkannt und wahrgenommen. Deshalb gibt es heute in Rostock eine ausgeprägte Infrastruktur der alltäglichen Kooperation und Partnerschaft für ein friedliches und tolerantes Zusammenleben aller Rostockerinnen und Rostocker, gleich welcher Herkunft.

Ich habe in meinen Ausführungen einige Akteure dieses komplexen Netzwerkes bereits genannt. Viele mussten unerwähnt bleiben, weil die Zeit nicht ausreicht, um alle Träger von Maßnahmen, alle kulturellen Veranstaltungen, alle Aktiven, die sich innerhalb und außerhalb von Organisationen für Verständigung und Toleranz einsetzen, namentlich zu nennen. Sie sind deshalb nicht weniger notwendige Bausteine, um in Rostock menschliche Brücken zu bauen.

Festzuhalten bleibt, dass Rostock zehn Jahre danach auf einem guten Wege ist. Vielfältige Ansätze, Modellprojekte und Initiativen haben sich zu einem dichten Geflecht gegenseitiger Verständigung und Partnerschaft verwoben.

Festzuhalten bleibt aber auch, dass wir zehn Jahre danach “von so etwas wie Normalität" und einem selbstverständlichen Umgang mit Menschen fremder Herkunft noch weit entfernt sind. Rostock ist weder eine Insel noch eine singuläres Phänomen. Vorurteile,Diskriminierungen, Verachtung und Gewalt gegen Menschen ausländischer Herkunft sind in Rostock und im gesamten Bundesgebiet nach wie vor evident. Da gibt es nichts zu diskutieren oder zu beschönigen.

Deshalb ist und bleibt es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weiterhin alle Anstrengungen für eine friedliches und respektvolles Zusammenleben zu unternehmen und mit den Bemühungen nicht nachzulassen. Intoleranz, Engstirnigkeit, ja Gewalttätigkeit und offener Fremdenfeindlichkeit müssen wir entschieden entgegen treten. Wir dürfen den Blick nicht verschließen vor Bewegungen und Personen, die Ausländerhass predigen und Zwietracht zwischen Menschen deutscher und ausländischer Herkunft sähen wollen.

Dies ist nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern liegt in unserem ureigensten Interesse. Rostock ging es immer dann besonders gut, wenn Weltoffenheit, Gastfreundschaft, Toleranz und der friedliche Handel über die Meere und zwischen den Völkern wie zu Zeiten der Hanse das Leben in unserer Stadt bestimmt haben.

Menschen ausländischer Herkunft sind deshalb in Rostock willkommen, ob sie nun unsere Gäste, z.B. während der Hanse Sail oder der IGA 2003, sind, ob sie an der Universität oder an dieser Hochschule für Musik und Theater studieren, ob sie bei uns Zuflucht suchen oder auf Dauer hier leben wollen.

Sehr verehrte Gäste,

die Erinnerung an 10 Jahre Lichtenhagen ist kein Schlusspunkt, sondern die Mahnung und Aufforderung an alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte, mit den Bemühungen um ein respektvolles und friedliches Zusammenleben in der Hansestadt mit viel Energie und Engagement fort- zufahren, damit Rostock nie wieder zu einem Synonym für Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass wird.

Die Bereitschaft, auf einander zu zugehen, von einander lernen zu wollen, Gemeinsamkeiten zu suchen, aber auch die Verschiedenheit zu akzeptieren, ist und bleibt deshalb - auch 10 Jahre danach - stetiger Auftrag für jeden von uns.

Ich danke Ihnen!

Kurzbiographie von Prof. Dr. Ralf Friedrich

Herr Prof. Dr. Ralf Friedrich ist seit dem 6. Juli 1994 Präsident der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock. Seit 1969 arbeitet er an der Universität Rostock als Assistent, Oberassistent und Hochschuldozent, promovierte 1974, zehn Jahre später erfolgte die Habilitation. 1992 erhielt Herr Prof. Friedrich seine Universitätsprofessur für Regelungstechnik. 1991/1992 war er Gründungsdekan der Fachhochschule Stralsund.

1989 trat er der SPD bei. Mit der ersten freien Kommunalwahl 1990 in Mecklenburg-Vorpommern wurde er Mitglied der Bürgerschaft und deren Vizepräsident. In den beiden folgenden Wahlperioden 1994 und 1999 ist er jeweils zu ihrem Präsidenten gewählt worden.

1940 wurde Prof. Friedrich in Leipzig geboren. Herr Prof. Friedrich ist verheiratet und hat zwei Kinder. x x

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