Erlebnisbericht eines Zeitzeugen
Pressemitteilung vom
Nguyen do Thinh
Sehr geehrter Herr Minister,
sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Senatoren,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitglieder, liebe Gäste aus Fern und Nah,
ich weiß nicht, ob ich heute in der Lage bin, Ihnen die Erinnerung an die Augusttage 1992 noch einmal zu schildern, denn seit November 2001 wurden der Ausländerbeauftragte, Herr Dr. Wolfgang Richter, und ich fast wöchentlich von Journalisten danach befragt, besonders in der letzten Zeit, als der
10. Jahrestag näher rückte.
Ich möchte mit den schönen Erinnerungen anfangen. Und zwar mit den ersten Erinnerungen, die ich gemacht habe, als ich nach Rostock kam. Da war eine Deutschlehrerin, die uns für die ersten Tage, an denen wir gearbeitet haben, Geld gegeben hat, da wir noch keinen Lohn bekommen hatten. Damit konnten wir uns eine Woche lang über Wasser halten.
Da waren Kollegen, die mit mir auf dem hohen Kran standen und mir die ersten Worte in Deutsch beigebracht haben. Ich kann mich noch ziemlich genau erinnern. Da war ein Kollege, der stand mit mir auf dem hohen Kran und zeigte auf einen Baum und sagte: "Thinh, sprich mir bitte nach, da ist ein Baum, - so heißt der -, ein Baum besitzt eine Krone, der hat viele Blätter und Äste."
Es waren da auch Kolleginnen, die mich jedes Weihnachtsfest einluden, weil sie wussten, dass ich alleine war und mich so behandelt haben, als ob sie meine Mutter, meine Schwester wären. Und ich glaube, solche schönen Erinnerungen bleiben mir auch nach
20 Jahren erhalten, damals war ich 20, 10 Jahre bevor es in Lichtenhagen passierte.
Auch möchte ich einen Kollegen erwähnen, der mir gezeigt hat, wie man sich hier auch zu DDR-Zeiten durchsetzen konnte und zwar wollte ich damals einen Beruf erlernen, irgendwas Studieren und das klappte ewig nicht. Bis dieser Kollege, der war in der Gewerkschaft tätig, eine Unterschriftensammlung gemacht hat und sich damit durchsetzen konnte, so dass ich einen Studienplatz bekommen konnte. Und ich denke, ich möchte Ihnen von solchen Erinnerungen erzählen. Dies ist wichtig, um meine Motivation zu verstehen, warum ich heute - 10 Jahre nach dem Brand - noch immer diese Arbeit mache. Ich glaube, die gesellschaftliche Situation kann sich zwar ändern, aber ich glaube diese menschlichen Qualitäten muss man erst herauskitzeln.
Meine Zeit in der DDR verlief relativ gut, bis 1988/89, als ich merkte, dass sich die ersten Anzeichen von offener Ausländerfeindlichkeit zeigten. Mit dem näherrückenden Tag
der Deutschen Einheit wuchs die Unsicherheit, aber auch die Hoffnung auf eine neue Gesellschaftsordnung, die wir als Ausländer miterleben durften. Und dabei habe ich aber auch schon gemerkt, dass viele ostdeutsche Kollegen unschöne Wörter zu uns gesagt haben, beispielsweise: "Wir haben bald die Einheit, wir haben bald die BRD, und die DDR hat Euch hergeholt, also sollt Ihr auch langsam gehen! Warum geht Ihr immer noch nicht?"
Nun komme ich zu den Tagen im August 1992. Bereits Wochen vorher gab es Meldungen in den Medien. Damals war ich im Erdgeschoss des Sonnenblumenhauses in einer Beratungsstelle für Vietnamesen gemeinsam mit 2 Kollegen tätig, die über eine ABM-Maßnahme vom Seehafen organisiert wurde.
Während dieser Zeit wurden die Aufgänge 18 und 19 in der Mecklenburger Allee aufgeteilt. Die Vietnamesen haben zunächst in beiden Aufgängen gewohnt. Sie wurden nachher in die Nr. 19 verlegt, damit die Nr. 18 frei wurde für die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber. Täglich haben wir gesehen, wie die Asylbewerber hingekarrt worden sind, aus den Bussen herausgeschmissen wurden und zunächst gar nicht wussten, was sie tun sollen, bis sie ihre Landsleute aus der Zentralen Aufnahmestelle trafen. Dann haben sie mitbekommen, dass sie sich erst beim Pförtner anmelden mussten, um sich überhaupt für das Asylverfahren anmelden zu können.
Ich habe mich damit auch nicht sehr viel beschäftigen können, da sich unsere Aufgabe auf die Gruppe von vietnamesischen Vertragsarbeitern aus dem Seehafen beschränkte. Täglich habe ich aber gesehen, dass jeden Morgen ein Wachmann einen Gartenschlauch hingehalten hat, damit die Asylbewerber - Kinder und Frauen - mit ihren Plastikflaschen ein bisschen Wasser für den Tag holen konnten. Wenn wir gearbeitet haben, lagen sie schon vor unserem Büro unter dem Balkon. Sie haben nach Wasser und nach Brot und Brötchen gebettelt. Wir haben versucht, ihnen zu helfen, so gut wir konnten. Und dieser Zustand war ja nicht mehr auszuhalten, weder für die Asylbewerber, die da draußen kampieren mussten, ohne jegliche Versorgung oder sanitäre Einrichtungen, und auch nicht für die Einwohner, die in unmittelbarer Nähe des Heimes gewohnt haben.
Ich persönlich hatte nichts dagegen, dass es einen Protest von Lichtenhägenern gab, der auch deutlich machen sollte, dass der Zustand so nicht mehr zu akzeptieren war, dass dieser Zustand menschenunwürdig war und eine Lösung gefunden werden musste. Aber dass die Stimmung nachher so umschlug, damit habe ich, hatten wir, nicht gerechnet.
Am Sonnabend bin ich erst nach einem Einkauf zum Wohnheim gefahren, denn ich habe damals nicht in der Mecklenburger Allee 19 gewohnt, sondern in Evershagen. Die Lage war relativ ruhig. Bis 14.00 Uhr kamen nur Kinder mit Fahrrädern, haben geguckt, was los ist. Ein Bekannter, den ich in der Kaufhalle traf, fragte mich: "Thinh, was ist denn hier los? Ich habe gehört, dass die Leute mit Kalaschnikows hierher kommen wollen und Euch alle umbringen wollen. Ist da was dran?" Ich sagte: "Ich habe diese Gerüchte auch gehört, aber wir werden erst mal abwarten, was da passiert."
Bevor es dunkel wurde, versammelten sich die ersten Protestierenden vor dem Haus. Herr Bürgermeister Zöllick versuchte mit ihnen zu diskutieren - ohne Ergebnis. Da merkte ich, dass die Stimmung immer angespannter wurde, bis nachher die ersten Steine flogen und die ersten Polizisten in Sommerkleidung, zum Teil ohne Schutzschild, dastanden und trotzdem immer noch versucht haben, mit ihrem körperlichen Einsatz das Haus und uns zu schützen.
Die erste Nacht verlief wie durch ein Wunder mit wenig Verletzungen unter den Polizisten. Die Fensterscheiben waren bis zur 6. Etage in Bruch gegangen. Ein chinesischer Koch, der uns besuchen wollte, wurde auch verletzt; sein Auto wurde angezündet.
Am nächsten Tag gegen 16.00 Uhr hatten sich schon Tausende von Menschen angesammelt. Der Bundesgrenzschutz bildete einen Ring rund um das Haus. Ich wusste im ersten Moment nicht, wie ich da hinkommen könnte. Deshalb bin ich mit meinem Wagen durch die Menge bis zum Haus gefahren. Da ging eine ältere Frau spazieren und als sie sah, dass ich in das Haus gehen wollte, sagte sie: "Sind Sie denn lebensmüde, was wollen Sie denn da noch rein, wenn Sie noch weggehen können. Gehen Sie weg! Das ist Selbstmord." Ich ging trotzdem rein, und die Frau hat nur mit dem Kopf geschüttelt.
Die zweite Nacht verlief ähnlich wie die erste Nacht, nur mit einer Veränderung, dass die Angriffswelle schon organisierter war, in der ersten Nacht war sie dagegen noch unorganisiert. Und ich sah auch, dass viel mehr Jugendliche gekommen waren, um zu randalieren. Ich sah auch, dass sie jetzt nicht mehr gezielt das Asylbewerberheim angegriffen haben, sondern da schon keinen Unterschied mehr gemacht haben zwischen dem Heim der Asylbewerber und dem Heim der Vietnamesen. Dadurch kann ich vermuten, dass die Jugendlichen, die dort die beiden Häuser angegriffen haben, nicht mehr Lichtenhägener, nicht mehr Rostocker waren, sondern auch vielmehr Auswärtige, was man an den Autokennzeichen sehen konnte. Der Kampf zwischen Polizei und Randalierern - das war für mich wie ein Spiel zwischen Katz‘ und Maus. Die Polizisten wurden zurückgedrängt, rückten wieder vor. Dieses wechselte ständig, und eine besondere Taktik der Polizei war nicht erkennbar.
Ein Ereignis in dieser Nacht hat sich mir besonders eingeprägt. Gegen 2.00 Uhr morgens riefen mich meine Landsleute. Bis dahin haben wir immer abwechselnd auf dem Balkon gestanden und die Lage beobachtet. Sie sagten: "Thinh; es gibt was Neues, geh mal gucken!"
Ich stand auf dem Balkon und sah zunächst eine Menschenmenge, die auf uns zukam und dabei etwas gerufen hat. Die Rufe habe ich zunächst nicht verstanden. Aber als die näher kamen, konnten wir dann sehen, dass sie sich einander untergehakt hatten und immer wieder gerufen haben: "Hoch die internationale Solidarität!" Das war eine linke Gegendemo. Die jugendlichen Randalierer hatten Respekt vor diesem Block, obwohl die nur zweihundert gewesen waren. Dieser Block hatte die Randalierer auseinandergetrieben, ohne Gewalt anzuwenden. Sie hatten nur einen Fehler gemacht, dass sie sich vor dem Haus getrennt haben. Aber dadurch wurden sie geschwächt und von den Polizisten festgenommen und wegtransportiert. Und nachdem sie weg waren, ging das Katz- und Maus-Spiel zwischen Polizei und Randalierern weiter.
Die ersten ausländerfeindlichen Parolen habe ich auch gehört, aber noch nicht so in dieser Intensität wie am Montagabend. Am Tag haben wir versucht wieder alles in den Wohnungen aufzuräumen, die Fensterscheiben, die zerschlagen worden sind, wurden repariert. An diesem Tage waren viele Journalisten dort, Fernsehkameras - die nicht mehr zu zählen waren. Aber sobald es dunkel wurde, sind diese Kameralichter angegangen. Es war wie eine Sportfeststimmung draußen, und wir waren drinnen wie in der Falle. Mitten in einem Interview mit einem Kamerateam des ZDF von "Kennzeichen D" wurden wir unterbrochen und mussten in die oberen Etagen gehen. Herr Dr. Richter, hat nachdem wir hochgegangen sind, die Verständigung mit der Polizei übernommen. Vorher konnten wir noch von unserem Büro aus telefonieren, aber das Büro wurde durch Steinwürfe zerstört, so dass wir uns gar nicht mehr in diesem aufhalten konnten. Und so hat Dr. Richter weiter versucht von der Pförtnerloge mit der Polizei und der Feuerwehr zu telefonieren. Und dann hat er uns gesagt, dass er keine Chance mehr sieht, dass wir runtergehen können, weil die Randalierer schon mit Molotowcocktails, mit Waffen, Steinen, Stöcken im Hause sind. Er sagte, dass es jetzt nur noch einen Weg für uns geben würde, nämlich zur Zentralen Aufnahmestelle, die zu diesem Zeitpunkt schon leergezogen war. Uns wurde von einem Mitglied der Bürgerschaft gesagt, dass wir alle Gardinen zumachen und uns so verhalten sollten, als ob das Wohnheim der Vietnamesen auch leer wäre, damit die Randalierer nicht ein leeres Haus in Brand setzen. Aber das war ein Irrtum, nachdem wir festgestellt haben, dass die Randalierer schon im Haus waren. Sie haben immer weiter versucht, höher zu kommen, um uns zu kriegen. Von der 7. Etage aus haben wir die Feuerlöscher genommen, und ein paar Jungs sind bis in die 4. bzw. 5. Etage gegangen, um diese Feuerlöscher leer zu sprühen, damit der Weg versperrt wird. Der Fahrstuhl wurde stillgelegt, damit keiner mehr mit dem Fahrstuhl fahren konnte. Eine dritte Gruppe versuchte, oben die Dachluke aufzumachen. Eine vierte Gruppe versuchte, in der 7. Etage den Durchgang zur Zentralen Aufnahmestelle aufzubrechen, in der Hoffnung, dass das Haus der Asylbewerber noch nicht brannte. Aber als wir dort ankamen, kamen uns bereits Wachschutzbeamte mit dem Hausverwalter entgegen. Sie erzählten uns, dass sie schon von den Randalierern bei den Löscharbeiten behindert worden waren. Damit war klar, dass wir auch über das Asylbewerberheim nicht mehr herauskommen konnten. Wir haben die Aufgaben so verteilt, dass jede Gruppe für sich versuchen sollte, in Aufgang 18 und 19 die Dachluken aufzubrechen, und dann die anderen herauszuholen.
Ich weiß nicht, wie uns das gelingen konnte, denn es war eigentlich unmöglich, diese dicken Eisentüren mit so primitiven Mitteln wie Beil, Hammer und einem Hebel aufzubrechen. Von innen ist das unmöglich. Doch wie durch ein Wunder haben wir es geschafft. Als wir dann alle oben standen, haben ein paar von uns versucht, über die Dachränder zu gucken, die wurden gleich zurückgeholt. Meine Kollegin hatte gesagt: "Wenn sie uns hier oben entdecken, dann kommen sie hierher, und es wird Tote geben." Wir haben uns dann oben hingehockt und erst einmal nachgezählt, ob alle Wohnungsmitglieder anwesend waren. Da wurde festgestellt, dass noch nicht alle da waren. Da bin ich noch einmal herunter gelaufen und habe an den Türen gedonnert und gerufen: "Die Dachluke ist auf, Ihr könnt jetzt auf das Dach. Kommt raus!" Aber ich bin nur bis zur 10. Etage gekommen, da war mir die Sicht durch den Rauch schon genommen. Ich habe nichts mehr gesehen und auch keine Luft mehr bekommen. Und so musste ich wieder hoch. Wir haben uns auf dem Dach zusammengekauert. Ein paar Jugendliche, deutsche Jugendliche, sind weitergegangen, um die Dachluken von anderen Aufgängen aufzuhebeln, um mit den Bewohnern der anderen Aufgänge zu sprechen, ob sie uns vorübergehend eine Unterkunft gewähren. Denn wir haben immer noch Angst gehabt, dass die Randalierer auf das Dach kommen und uns in die Tiefe stürzen. Gleichzeitig haben wir in der Dachluke von Nr. 18 Geräusche gehört, wo wir vermutet haben, dass das nur von den Wachmännern der Zentralen Aufnahmestelle bzw. von den Kollegen von "Kennzeichen D" kommen konnte. Mit besonderer Vorsicht haben wir die Luke geöffnet, damit diese auch herauskommen konnten. Nach einer Weile kam die Nachricht bei uns an, dass die Dachluke in der 15 auf ist und ein, zwei Familien bereit waren, Frauen und Kinder bei sich aufzunehmen. So haben wir die Frauen und Kinder in die Wohnung der Familie von Horst Kreutzfeldt gebracht. Von hier haben Dr. Wolfgang Richter und Thomas Euting von "Kennzeichen D" versucht, mit der Polizei und Feuerwehr zu telefonieren, um die Abtransportmaßnahmen für uns zu organisieren.
Gegen 4.00 Uhr morgens war es vorbei. Dann sind wir zum Auto vom "Kennzeichen D" - Team. Da hat uns einer der Journalisten gefragt, Herrn Dr. Richter und mich, ob wir nicht zum Neptun-Hotel Geburtstag feiern wollten? Ich hab zunächst nicht verstanden, wer denn nun Geburtstag hat. Nachdem er dann gesagt hat, dass wir heute alle Geburtstag hätten, habe ich das dankend verneint, denn ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, wo meine Landsleute geblieben waren. Herr Dr. Richter brachte mich dann zur Turnhalle Marienehe. Dort wurden wir auf Feldbetten untergebracht. Uns wurde gesagt, dass wir kein Licht machen sollen, denn es waren noch einzelne Gruppen von Rechten unterwegs. Und wenn bekannt wird, dass wir hier sind, besteht die Gefahr, dass die von Lichtenhagen abrücken, und die Turnhalle in Marienehe das neue Ziel sein würde.
Die Stadtverwaltung hat zu diesem Zeitpunkt gesagt, dass der Brand gelöscht ist, alle Türen für uns offen sind, und wir ohne Angst in unsere Wohnungen zurückkehren können. Aber mir konnte keiner erzählen, dass wir mit kaputten Türen sicher sein konnten. Aus diesem Grund haben wir uns geweigert zurückzugehen. Drei Tage hat es gedauert, bis die Stadt gesagt hat, ja sie sieht ein, dass die Gefahr immer noch besteht und hat dann entschieden, dass wir im Landschulheim Niex für die nächsten zwei Wochen untergebracht werden sollen.
Und in dieser Zeit haben wir uns zusammengesetzt und uns Gedanken gemacht, ob wir weiterhin in Rostock leben können, wie wir weiterhin in Rostock leben können, und was wir machen müssen, um in Rostock leben zu können. Und in diesen Tagen war die Idee mit der Vereinsgründung entstanden. Wir haben uns gesagt, dass ein passives Verhalten uns nicht mehr nützt.
Immer wieder sah ich vor mir, wie ich in diesen schweren Stunden in den oberen Etagen des Hauses stand und in diese Menschenmasse guckte. Und ich sah in diesen Gesichtern diese Freude, jedes Mal wenn ein Stein ein Fenster traf, jedes Mal wenn eine Flasche in Flammen aufging. Ich sah da eine Freude, die ich nicht erklären kann. Ich glaube nicht, dass das "Freude zum Morden" war. Das kann ich einfach nicht glauben.
Mit Hilfe - auch von deutschen Freunden - haben wir die Idee vom Verein in die Tat umgesetzt. Am 24. Oktober 1992 haben wir mit 67 Vietnamesen und Deutschen im Jugendalternativzentrum den Verein "Diên Hông - Gemeinsam unter einem Dach" ins Leben gerufen. Der Verein steht für die gegenseitige Akzeptanz zwischen Deutschen und Vietnamesen sowie Deutschen und Ausländern, mit dem Ziel, der sozialen und beruflichen Integration von Vietnamesen, und der Verein steht auch für eine Förderung und Erhaltung der vietnamesischen Kultur und Tradition.
Im Wesentlichen hat unser Verein diese Zielrichtung bis heute auch beibehalten, mit einer Erweiterung. In der Vereinssatzung heißt es seit 1997 nicht mehr "die Förderung gegenseitiger Akzeptanz zwischen Deutschen und Vietnamesen", sondern jetzt "zwischen Einheimischen und Zugewanderten". Und wir widmen uns nicht mehr nur der sozialen und beruflichen Integration von Vietnamesen, sondern der Integration aller Zugewanderter, die im Arbeitsamtsbezirk Rostock leben und arbeiten.
10 Jahre ist das her, vor 10 Jahren stand ich ziemlich alleine oben in Lichtenhagen und wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte, als unser Leben in Gefahr war. Da waren mir nur zwei Personen eingefallen, die ich anrufen konnte. Ols Weidmann und Wolfgang Richter. Das sind beides Menschen, die uns in dieser schweren Stunde unter Einsatz ihres Lebens geholfen haben.
10 Jahre danach stehe ich heute vor Ihnen. Ich hoffe, dass ich mich nicht noch einmal an diese Ereignisse erinnern muss. Denn ich denke, dass das Land, die Stadt, die Verwaltung, die Polizei schon sehr sehr viel aus Lichtenhagen 1992 gelernt haben. Und das zeigt sich heute in der ganzen Unterstützung der Vereinsarbeit. Die Veranstaltung heute ist auch ein Zeichen dafür, dass die Stadt, die Politik, die Kommunalpolitik daraus etwas gelernt haben. Und nicht nur daraus gelernt haben, sondern auch etwas dafür tun wollen.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen und von dieser Stelle aus an die Rostocker appellieren: "Wir können nicht alles schaffen. Und ein kleiner Verein, wie wir es sind, kann sich nur auf eine Aufgabe konzentrieren, uns den Minderheiten hier in Rostock zuzuwenden." Für die antirassistische Arbeit, denke ich, muss sich auch die deutsche Bevölkerung verantwortlich fühlen.
Und mir tut es weh, wenn ich jedes Mal den Journalisten erzählen muss, dass ich als öffentlicher Mensch große Anerkennung von Behörden, von der Verwaltung, von der Stadt erfahren habe, aber nicht als einfacher Vietnamese. Man nimmt sich das Recht, uns als Menschen 2. und 3. Klasse zu behandeln.
Ich wünsche mir - und ich bezeichne mich ja auch schon als Rostocker - dass die Hansestadt Rostock ihrem Ruf als eine offene Universitätsstadt gerecht wird. Aber diese Stadt kann ihre Außenwirkung nur durch Ihre Mitarbeit, durch Ihre Mithilfe verbessern. Und meine Bitte an Sie: "Erinnern, nicht um der Erinnerung wegen, um zu kritisieren, nicht um zu mahnen, sondern erinnern, um nach vorne zu schauen. Und ich glaube, gemeinsam schaffen wir das. Wir, die Zugewanderten brauchen Sie, aber ich glaube umgekehrt, Sie brauchen uns auch".
Danke. x x
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