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Na­vi­ga­ti­on

ERNST BAR­LACH - BILD­HAU­ER DES NOR­DENS

Pres­se­mit­tei­lung vom 18.09.2008

In ei­nem Brü­cken­schlag über drei Ge­ne­ra­tio­nen hin­weg tref­fen in ei­nem au­ßer­ge­wöhn­li­chen Aus­stel­lungs­pro­jekt die ru­hi­gen men­schen­lee­ren und auf we­ni­ge Far­ben und For­men re­du­zier­ten Stadt­an­sich­ten Dett­mars, auf die stark kon­zen­trier­ten und in sich ru­hen­den Men­schen­bil­der Ernst Bar­lachs. Bei­de Werk­grup­pen schwin­gen so fein mit­ein­an­der, dass der Be­trach­ter den Ein­druck ge­winnt, als ob sich die bei­den Künst­ler ge­kannt hät­ten. Die Plas­ti­ken Bar­lachs schei­nen mit den Bil­dern Dett­mars Bil­der förm­lich zu ei­ner Ein­heit zu ver­wach­sen.

Wer sich heu­te in den Land­schaf­ten von Nord­deutsch­land be­wegt, der sucht im­mer noch nach den Vor­bil­dern zu Bar­lachs Ge­stal­ten. Aber be­su­chen sie heu­te die Wäl­der und das fla­che Land am Meer, in de­nen sich der Künst­ler über 30 Jah­re na­he­zu täg­lich auf­hielt, die Fi­gu­ren Bar­lachs wer­den sie heu­te hier nicht mehr an­tref­fen. Doch das Land ist weit­ge­hend das glei­che ge­blie­ben, wie es in mäch­ti­gen Wo­gen ge­gen den Ho­ri­zont schwingt, die­ses Land mit sei­nem star­ken, meer­ge­nähr­ten Wind und sei­nen Wol­ken­bän­ken, die­ses Land vor al­lem ist es, das an Bar­lachs Fi­gu­ren er­in­nert.

Ob­wohl Bar­lach kaum je Land­schaft­li­ches di­rekt dar­stellt, so ge­hört er doch zu den ein­dring­lichs­ten Land­schafts­bild­nern des 20. Jahr­hun­derts. Sei­ne in Bron­ze, Ke­ra­mik oder Por­zel­lan ge­fass­ten Fi­gu­ren at­men förm­lich die Land­schaft um sie her­um, deu­ten auch heu­te noch auf ein­sa­me Brei­ten, in de­nen sich oft über Stun­den kaum ei­ne Be­hau­sung fin­det. Dicht ein­ge­hüllt sind die­se Ge­stal­ten in wei­te Stoff­bah­nen, denn meist weht ein mäch­ti­ger Wind, der in dem fla­chen Land kei­nen Wi­der­stand fin­det und durch­dringt die dich­te Klei­der­wehr des sich in der Na­tur be­we­gen­den Men­schen.

Die Ge­stalt des Sturms wird bei Bar­lach ger­ne als al­le­go­ri­sche Fi­gur für das ei­ge­ne, auf­ge­wühl­te und be­fan­ge­ne Ich er­kenn­bar und ver­rät ei­nen Men­schen, der im­mer auf der Su­che nach Mög­lich­kei­ten ist, sich selbst in die Ganz­heit der Na­tur ein­zu­bin­den. Al­le­go­ri­en ent­ste­hen sel­ten aus glück­li­chem Ein­ver­ständ­nis mit der Welt, son­dern zu­erst aus Lei­den und Dis­so­nanz.

Der An­zie­hungs­kraft Nord­deutsch­lands und der Kraft Nord­deut­scher Ar­chi­tek­tu­ren kann sich auch Alex­an­der Dett­mar nicht ent­zie­hen. Nord­deut­sche Städ­te und Dör­fer sind ihm nicht nur Halt, Le­bens­zei­chen und Land­mar­ke, sie sind ihm, wie Hell­mut See­mann es for­mu­liert, "Ku­lis­se des Mensch­li­chen". Die Mau­ern von Häu­sern und Kir­chen sind es, die im­mer wie­der die Struk­tur sei­ner Bild­or­ga­nis­men prä­gen. Die in im­mer neu­en Va­ri­an­ten ge­zeig­te Ma­te­rie der Stei­ne ar­ti­ku­liert Dett­mars Wunsch nach Auf­he­bung der Zeit in ru­hen­der An­schau­ung. Ge­gen die be­schleu­nig­te Wahr­neh­mung, die uns der All­tag auf­zwingt, setzt er die Lang­sam­keit, die Ima­gi­na­ti­on, die ihm aus der Be­ob­ach­tung der Din­ge zu­wächst. Erst der Stein, die­ses Sym­bol für Dau­er, gibt ihm ei­ne Vor­stel­lung vom Ur­sprung der Zeit.

Al­tes, Ge­brauch­tes und His­to­ri­sches sind Of­fen­ba­rung für Alex­an­der Dett­mar. Er ist im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes ein tief­grün­di­ger Be­wah­rer mensch­ge­mä­ßer Di­men­sio­nen, ei­ner, der sich von der Schnell­le­big­keit und Ober­fläch­lich­keit sei­ner Zeit ve­he­ment di­stan­ziert. Doch er hat Hoff­nung. Ocker und Rot wei­sen den Weg, wie die Sehn­sucht nach Le­bens­er­fül­lung in far­bi­ger Dif­fe­ren­zie­rung ein­ge­fan­gen und zu­gleich in die sinn­li­che Wär­me mensch­li­cher Ge­mein­schaft über­führt wer­den kann.

Bei­de Künst­ler, Alex­an­der Dett­mar ge­nau­so wie Ernst Bar­lach be­grei­fen ih­re Kunst als Über­set­zungs­vor­gang, denn al­lein in der Kunst wird ih­nen das Ver­hält­nis von In­nen und Au­ßen spür­bar. In ei­nem in­ten­si­ven Wahr­neh­mungs­pro­zess er­fas­sen sie die Welt der Din­ge und fil­trie­ren al­les Über­flüs­si­ge und Ne­ben­säch­li­che her­aus. Üb­rig bleibt die auf das We­sent­li­che re­du­zier­te Er­schei­nung.

Bar­lach und Dett­mar kom­men­tie­ren aber die­se Re­duk­ti­on nicht, sie füh­ren sie vor. Mit den Mit­teln der Ima­gi­na­ti­on prä­sen­tie­ren sie ih­re Sicht auf ei­ne Welt, die un­ter der Fas­sa­de der Din­ge liegt, ei­ne Welt, die sich dem ra­tio­na­len Zu­griff hart­nä­ckig ver­wei­gert, ei­ne Welt, die bei­de so un­ter­schied­lich und doch so see­len­ver­wandt in­ter­pre­tie­ren.

Die Ant­wort, die uns die Künst­ler in ih­ren Wer­ken auf die selbst ge­stell­ten Fra­gen zu ge­ben ver­sucht, be­nen­nen sie nicht aus­drück­lich, nicht ex­pli­zit, son­dern in Sym­bo­len. Im Sym­bol aber schei­nen In­nen und Au­ßen, schei­nen Form und In­halt der Din­ge zu­sam­men­zu­fal­len. Und in die­sem Zu­sam­men­fall er­eig­net sich - um mit Goe­the zu spre­chen - "die le­ben­dig-au­gen­blick­li­che Of­fen­ba­rung des Un­er­forsch­li­chen".

Die Wer­ke un­se­rer Aus­stel­lung be­gnü­gen sich da­her nicht mit der Ab­bil­dung ir­gend­wel­cher Rich­tig­kei­ten, sie wol­len in der Wirk­lich­keit die Wahr­heit of­fen­ba­ren, sie wol­len die Welt zei­gen, wie sie ist und nicht, wie sie vor­gibt zu sein.

Dr. Jür­gen Dop­pel­stein, Vor­sit­zen­der der Ernst Bar­lach Ge­sell­schaft Ham­burg