ERNST BARLACH - BILDHAUER DES NORDENS
Pressemitteilung vom
In einem Brückenschlag über drei Generationen hinweg treffen in einem außergewöhnlichen Ausstellungsprojekt die ruhigen menschenleeren und auf wenige Farben und Formen reduzierten Stadtansichten Dettmars, auf die stark konzentrierten und in sich ruhenden Menschenbilder Ernst Barlachs. Beide Werkgruppen schwingen so fein miteinander, dass der Betrachter den Eindruck gewinnt, als ob sich die beiden Künstler gekannt hätten. Die Plastiken Barlachs scheinen mit den Bildern Dettmars Bilder förmlich zu einer Einheit zu verwachsen.
Wer sich heute in den Landschaften von Norddeutschland bewegt, der sucht immer noch nach den Vorbildern zu Barlachs Gestalten. Aber besuchen sie heute die Wälder und das flache Land am Meer, in denen sich der Künstler über 30 Jahre nahezu täglich aufhielt, die Figuren Barlachs werden sie heute hier nicht mehr antreffen. Doch das Land ist weitgehend das gleiche geblieben, wie es in mächtigen Wogen gegen den Horizont schwingt, dieses Land mit seinem starken, meergenährten Wind und seinen Wolkenbänken, dieses Land vor allem ist es, das an Barlachs Figuren erinnert.
Obwohl Barlach kaum je Landschaftliches direkt darstellt, so gehört er doch zu den eindringlichsten Landschaftsbildnern des 20. Jahrhunderts. Seine in Bronze, Keramik oder Porzellan gefassten Figuren atmen förmlich die Landschaft um sie herum, deuten auch heute noch auf einsame Breiten, in denen sich oft über Stunden kaum eine Behausung findet. Dicht eingehüllt sind diese Gestalten in weite Stoffbahnen, denn meist weht ein mächtiger Wind, der in dem flachen Land keinen Widerstand findet und durchdringt die dichte Kleiderwehr des sich in der Natur bewegenden Menschen.
Die Gestalt des Sturms wird bei Barlach gerne als allegorische Figur für das eigene, aufgewühlte und befangene Ich erkennbar und verrät einen Menschen, der immer auf der Suche nach Möglichkeiten ist, sich selbst in die Ganzheit der Natur einzubinden. Allegorien entstehen selten aus glücklichem Einverständnis mit der Welt, sondern zuerst aus Leiden und Dissonanz.
Der Anziehungskraft Norddeutschlands und der Kraft Norddeutscher Architekturen kann sich auch Alexander Dettmar nicht entziehen. Norddeutsche Städte und Dörfer sind ihm nicht nur Halt, Lebenszeichen und Landmarke, sie sind ihm, wie Hellmut Seemann es formuliert, "Kulisse des Menschlichen". Die Mauern von Häusern und Kirchen sind es, die immer wieder die Struktur seiner Bildorganismen prägen. Die in immer neuen Varianten gezeigte Materie der Steine artikuliert Dettmars Wunsch nach Aufhebung der Zeit in ruhender Anschauung. Gegen die beschleunigte Wahrnehmung, die uns der Alltag aufzwingt, setzt er die Langsamkeit, die Imagination, die ihm aus der Beobachtung der Dinge zuwächst. Erst der Stein, dieses Symbol für Dauer, gibt ihm eine Vorstellung vom Ursprung der Zeit.
Altes, Gebrauchtes und Historisches sind Offenbarung für Alexander Dettmar. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein tiefgründiger Bewahrer menschgemäßer Dimensionen, einer, der sich von der Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit seiner Zeit vehement distanziert. Doch er hat Hoffnung. Ocker und Rot weisen den Weg, wie die Sehnsucht nach Lebenserfüllung in farbiger Differenzierung eingefangen und zugleich in die sinnliche Wärme menschlicher Gemeinschaft überführt werden kann.
Beide Künstler, Alexander Dettmar genauso wie Ernst Barlach begreifen ihre Kunst als Übersetzungsvorgang, denn allein in der Kunst wird ihnen das Verhältnis von Innen und Außen spürbar. In einem intensiven Wahrnehmungsprozess erfassen sie die Welt der Dinge und filtrieren alles Überflüssige und Nebensächliche heraus. Übrig bleibt die auf das Wesentliche reduzierte Erscheinung.
Barlach und Dettmar kommentieren aber diese Reduktion nicht, sie führen sie vor. Mit den Mitteln der Imagination präsentieren sie ihre Sicht auf eine Welt, die unter der Fassade der Dinge liegt, eine Welt, die sich dem rationalen Zugriff hartnäckig verweigert, eine Welt, die beide so unterschiedlich und doch so seelenverwandt interpretieren.
Die Antwort, die uns die Künstler in ihren Werken auf die selbst gestellten Fragen zu geben versucht, benennen sie nicht ausdrücklich, nicht explizit, sondern in Symbolen. Im Symbol aber scheinen Innen und Außen, scheinen Form und Inhalt der Dinge zusammenzufallen. Und in diesem Zusammenfall ereignet sich - um mit Goethe zu sprechen - "die lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen".
Die Werke unserer Ausstellung begnügen sich daher nicht mit der Abbildung irgendwelcher Richtigkeiten, sie wollen in der Wirklichkeit die Wahrheit offenbaren, sie wollen die Welt zeigen, wie sie ist und nicht, wie sie vorgibt zu sein.
Dr. Jürgen Doppelstein, Vorsitzender der Ernst Barlach Gesellschaft Hamburg