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Gedenkansprache auf Walter Kempowski von Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling am 25. November 2007 in der St.-Marien-Kirche zu Rostock

Pressemitteilung vom 25.11.2007

Sehr verehrte Frau Kempowski und verehrte Familie Kempowski,

sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Ringstorff,

sehr geehrte Frau Ministerin Keler,

sehr geehrte Abgeordnete des Bundes- und des Landtages,

sehr geehrte Pfarrerin Leber und sehr geehrter Pastor Jeremias,

sehr geehrter Herr Professor Drews,

sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter des Knaus Verlages und des Kempowski-Vereins,

sehr verehrte Damen und Herren,

"Ich muss zugeben, dass auch mich das Bedürfnis, die Stadt von oben darzustellen, gereizt hat, und ich habe dann Rostock nicht in Holz und nicht in Eisen, sondern in Papier nachgebaut."

Dieses Zitat stammt aus dem bemerkenswerten Vorwort, das Walter Kempowski für den von Konrad Reich edierten Bildband "Über Rostock und Warnemünde" verfasst hat. Von der längst vergriffenen Ausgabe habe ich noch einige Exemplare, die ich mit Vorliebe an auswärtige Gäste verschenke. Dass einer zur plastischen Profilierung seines Schreibprozesses die Idee verwirklichte, die ihm vertrauten, aber nicht zugänglichen heimatlichen Gefilde nachzugestalten, ist für mich originäres Indiz ganz besonderer Zuneigung.

In der Tat gibt es in der jüngeren deutschen Geistesgeschichte kaum eine Biographie und kein anderes Lebenswerk, die so innig und so untrennbar mit der Ortschaft ihrer Herkunft verknüpft sind, wie dies exemplarisch bei Walter Kempowski zutage tritt: Des Dichters Name und sein Vermächtnis sind ohne die Hanse- und Universitätsstadt Rostock gar nicht denkbar.

Wie gern erinnern wir uns an mannigfache Begegnungen mit dem herausragenden Literaten, dem großartigen Chronisten und dem nachgerade manischen Sammler von Zeitzeugnissen in den Mauern unseres Gemeinwesens, etwa an seine Lesungen in der Kunsthalle, im Katharinensaal der Hochschule für Musik und Theater und in der Thaliabuchhandlung. Wir denken an die Verleihung der Ehrenbürgerschaft 1994 im Festsaal des Rathauses, wo er ein Jahrzehnt später, an seinem 75. Geburtstag, mit den Insignien eines Doctor honoris causa aus den USA versehen wurde - dazu reisten die Laudatoren eigens hierher. In der Aula der Alma mater rostochiensis hatte er 2002 die hiesige Ehrendoktorwürde empfangen, und in der Universitätskirche nahm er 2005 den renommierten Hans-Erich-Nossack-Preis entgegen. Wie sehr sich Walter Kempowski mit diesem Gotteshaus - St. Marien - verbunden wusste, darauf hat Pastor Jeremias verwiesen.

Kempowskis letzter Besuch in Rostock im Mai 2006 verlief eher leise, nämlich inkognito. Er beschränkte sich auf wenige Treffen mit Freunden, wohl schon in der Vorahnung des nahenden Endes seines irdischen Daseins.

Dies hat er in einem veröffentlichten Gespräch drastisch formuliert, lange bevor er die Diagnose seiner schweren Krankheit erfuhr: "Ich selbst bin am Abnippeln."

Für uns, seine Leser, und für die Nachwelt bleibt auf Dauer ein ebenso vielgestaltiges wie tiefgründiges Lebenswerk, das uns immer wieder in staunende Bewunderung versetzt.

Tragende Säulen innerhalb seiner Deutschen Chronik sind fraglos die Romane "Tadellöser & Wolff" und "Uns geht es ja noch gold", beide von Eberhard Fechtner kongenial verfilmt. Was uns darin so sehr fasziniert, ist die stimmige Verflechtung autobiographisch geprägter Episoden, die in Rostock angesiedelt sind, mit dem zeitgeschichtlichen Horizont. Manche von uns haben etliche Figuren, die uns da entgegentreten, noch persönlich gekannt, so den Altphilologen Erich Fabian, dem wir als Studienrat Mathes begegnen, oder des Erzählers Schulfreund ¿dicker Krahl¿, den wir als den späteren Gewürzhändler Fritz Lahl ausmachen. Nicht wenigen Rostocker Bürgerinnen und Bürgern ist auf besinnliche oder auf heitere Weise gleichsam ein literarisches Denkmal gesetzt worden.

Ganz anders verfuhr Kempowski naturgemäß bei der Drucklegung seines Tagebuchs 1990, dessen Titel "Hamit" den oft missbrauchten Begriff "Heimat" absichtsvoll verfremdet. Da geht es um Wiederbegegnungen mit Stätten der Kindheit und der frühen Jugend nach sehr langer Zeit. Sie geschehen keineswegs im Gefühl euphorischer Begeisterung, sondern im abwägendem Urteil zwischen spürbarem Gewinn und unersetzbarem Verlust. Überraschungen und Enttäuschungen bleiben nicht verborgen. Die Namen derer, die genannt werden, sind konkret, stammen aus dem wirklichen Leben, spiegeln Sympathie oder Distanz.

In Kempowskis grandioser Collage "Das Echolot", diesem kollektiven Tagebuch aus finstersten Zeiten deutscher Geschichte, gilt hingegen das Credo, namenlosen Menschen, die sinnlos gelitten haben, ihre Stimme zurückzugeben, auf dass ihre Drangsal und ihr Tod niemals vergessen werden.

Nicht nur die Gründung und Entfaltung unseres Kempowski - Archivs, für das er nach und nach ausgewählte Sachzeugnisse stiftete, hat der literarische Chronist mit stets wachem Interesse begleitet.

Auch die Fortentwicklung unserer Stadt verfolgte er mit kritischer Solidarität. Aus einem Gespräch mit ihm weiß ich, wie sehr ihm die Wiederbebauung der Nordseite des Neuen Marktes, die ja einst erfolgen wird, am Herzen lag. Er hätte sie so gern noch miterlebt.

Heute versichere ich, dass wir bald eine Strasse nach unserem Ehrenbürger Walter Kempowski benennen wollen.

Dankbar gedenken wir in dieser Stunde des großen Sohnes unserer Stadt. Wir ehren ihn über diesen Tag hinaus, indem wir das, was er uns und künftigen Generationen hinterlassen hat, lesen, hören und betrachten.