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Na­vi­ga­ti­on

Ge­gen das Ver­ges­sen

Pres­se­mit­tei­lung vom 03.12.1999


Do­ku­men­ta­ti­ons- und Ge­denk­stät­te im Sta­si-Knast

Stel­len Sie sich vor, Sie wol­len En­de der acht­zi­ger Jah­re Ros­tock be­su­chen. Sie neh­men an ei­ner Ex­kur­si­on, z. B. der Volks­hoch­schu­le Ham­burg, teil und fah­ren mit dem Bus in die da­ma­li­ge Be­zirks­haupt­stadt. Die Kon­trol­len an der in­ner­deut­schen Gren­ze sind über­stan­den, der Rei­se­lei­ter des DDR-Rei­se­bü­ros nimmt Sie in Em­fang. Sie sam­meln vie­le Ein­drü­cke, ler­nen Men­schen ken­nen, ma­chen sich ein Bild vom Le­ben in der da­mals exis­tie­ren­den DDR. Was Sie nicht wis­sen: Das Mi­nis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit (MfS) be­glei­tet Sie an die­sen Ta­gen. Im Ho­tel sind Wan­zen in­stal­liert, Te­le­fo­na­te wer­den ab­ge­hört, die Post ge­le­sen, Ge­sprä­che be­lauscht. Sie ah­nen wohl, dass der DDR-Rei­se­lei­ter mehr auf Sie Acht gibt, als es Ih­nen lieb ist. Aber nicht er ver­fasst das Dos­sier für die Sta­si. Der "In­of­fi­zi­el­le Mit­ar­bei­ter" (IM) mit dem Deck­na­men "Cos­mos" sitzt mit Ih­nen seit Be­ginn der Fahrt im Bus und wohnt selbst in West­deutsch­land.

Ei­ne Hor­ror­ge­schich­te! Ein Ein­zel­fall? Wohl kaum. Die "Sta­si" hat­te 1989 im ehe­ma­li­gen Be­zirk Ros­tock 3.686 haupt­amt­li­che Mit­ar­bei­ter, 6.279 in­of­fi­zi­el­le und 988 "Ge­sell­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter für Si­cher­heit", die vor al­lem auch DDR-Bür­ge­rin­nen und -Bür­ger im Vi­sier hat­ten. Die Ros­to­cker Be­zirks­ver­wal­tung des MfS war die grö­ß­te in der DDR. Zu ihr ge­hör­te die "Abt. Ha­fen", die die ge­sam­te Han­dels- und Fi­sche­rei­flot­te der DDR kon­trol­lier­te. Auch das Ge­län­de der Sta­si zwi­schen Au­gust-Be­bel- und Her­mann­stra­ße wuchs mit der Zeit. Ne­ben Bü­ros, Werk­stät­ten und Ver­hör­räu­men be­fand sich auch ei­ne Un­ter­su­chungs­haft­an­stalt auf dem Are­al. Mehr als 4.800 Häft­lin­ge wa­ren dort zwi­schen 1960 und 1989 ein­ge­sperrt.

Zehn Jah­re nach der Be­set­zung der Be­hör­de durch Ros­to­cker Bür­ge­rin­nen und Bür­ger hat die Ros­to­cker Aus­sen­stel­le des Bun­des­be­auf­trag­ten für die Sta­si-Un­ter­la­gen in der Haft­an­stalt ei­ne Do­ku­men­ta­ti­ons- und Ge­denk­stät­te er­öff­net. Der Ort hat im ver­gan­ge­nen Jahr­zehnt viel von sei­nem Grau­en ver­lo­ren. Aber er il­lus­triert ein­drucks­voll die Schick­sa­le der Men­schen, de­ren Le­bens­we­ge von der Sta­si be­ein­flusst wur­den: der Fa­mi­lie, die ver­bo­te­nen Kon­takt in den Wes­ten un­ter­hält; der Ju­gend­li­chen, die ei­nen Schla­ger­text un­ter Be­to­nung des Wor­tes "FREI" auf ein Pla­kat krit­zeln; des See­manns, der durch den Gel­tungs­drang ei­nes Sta­si-Spit­zels Be­rufs­ver­bot er­hält. Aus­stel­lungs­ta­feln, Film- und Ton­do­ku­men­te und Ak­ten­vor­gän­ge skiz­zie­ren ein un­mensch­li­ches Sys­tem der Un­ter­drü­ckung und Be­vor­mun­dung, bie­ten Ge­le­gen­heit zu In­for­ma­ti­on und Aus­ein­an­der­set­zung. "Zehn Jah­re Wen­de" wird in die­sen Wo­chen häu­fig the­ma­ti­siert: Die­se Stät­te ist ein gu­tes Mit­tel ge­gen auf­kom­men­de "Os­tal­gie" und viel­leicht auch An­stoss für den ei­nen oder an­de­ren Mit­schul­di­gen, sich end­lich sei­ner ei­ge­nen Ver­gan­gen­heit zu stel­len.

[Adres­se und Öff­nungs­zei­ten] (ulk)