Gegen das Vergessen
Pressemitteilung vom
Dokumentations- und Gedenkstätte im Stasi-Knast
Stellen Sie sich vor, Sie wollen Ende der achtziger Jahre Rostock besuchen. Sie nehmen an einer Exkursion, z. B. der Volkshochschule Hamburg, teil und fahren mit dem Bus in die damalige Bezirkshauptstadt. Die Kontrollen an der innerdeutschen Grenze sind überstanden, der Reiseleiter des DDR-Reisebüros nimmt Sie in Emfang. Sie sammeln viele Eindrücke, lernen Menschen kennen, machen sich ein Bild vom Leben in der damals existierenden DDR. Was Sie nicht wissen: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) begleitet Sie an diesen Tagen. Im Hotel sind Wanzen installiert, Telefonate werden abgehört, die Post gelesen, Gespräche belauscht. Sie ahnen wohl, dass der DDR-Reiseleiter mehr auf Sie Acht gibt, als es Ihnen lieb ist. Aber nicht er verfasst das Dossier für die Stasi. Der "Inoffizielle Mitarbeiter" (IM) mit dem Decknamen "Cosmos" sitzt mit Ihnen seit Beginn der Fahrt im Bus und wohnt selbst in Westdeutschland.
Eine Horrorgeschichte! Ein Einzelfall? Wohl kaum. Die "Stasi" hatte 1989 im ehemaligen Bezirk Rostock 3.686 hauptamtliche Mitarbeiter, 6.279 inoffizielle und 988 "Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit", die vor allem auch DDR-Bürgerinnen und -Bürger im Visier hatten. Die Rostocker Bezirksverwaltung des MfS war die größte in der DDR. Zu ihr gehörte die "Abt. Hafen", die die gesamte Handels- und Fischereiflotte der DDR kontrollierte. Auch das Gelände der Stasi zwischen August-Bebel- und Hermannstraße wuchs mit der Zeit. Neben Büros, Werkstätten und Verhörräumen befand sich auch eine Untersuchungshaftanstalt auf dem Areal. Mehr als 4.800 Häftlinge waren dort zwischen 1960 und 1989 eingesperrt.
Zehn Jahre nach der Besetzung der Behörde durch Rostocker Bürgerinnen und Bürger hat die Rostocker Aussenstelle des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in der Haftanstalt eine Dokumentations- und Gedenkstätte eröffnet. Der Ort hat im vergangenen Jahrzehnt viel von seinem Grauen verloren. Aber er illustriert eindrucksvoll die Schicksale der Menschen, deren Lebenswege von der Stasi beeinflusst wurden: der Familie, die verbotenen Kontakt in den Westen unterhält; der Jugendlichen, die einen Schlagertext unter Betonung des Wortes "FREI" auf ein Plakat kritzeln; des Seemanns, der durch den Geltungsdrang eines Stasi-Spitzels Berufsverbot erhält. Ausstellungstafeln, Film- und Tondokumente und Aktenvorgänge skizzieren ein unmenschliches System der Unterdrückung und Bevormundung, bieten Gelegenheit zu Information und Auseinandersetzung. "Zehn Jahre Wende" wird in diesen Wochen häufig thematisiert: Diese Stätte ist ein gutes Mittel gegen aufkommende "Ostalgie" und vielleicht auch Anstoss für den einen oder anderen Mitschuldigen, sich endlich seiner eigenen Vergangenheit zu stellen.
[Adresse und Öffnungszeiten] (ulk)