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Na­vi­ga­ti­on

Gruß­wort des 1. Stell­ver­tre­ters des Ober­bür­ger­meis­ters Dr. Chris Mül­ler-von Wry­cz Re­kow­ski zur fei­er­li­chen Ge­denk­ver­an­stal­tung „25 Jah­re Lich­ten­ha­gen“ am 22. Au­gust 2017 in der Ma­ri­en­kir­che

Pres­se­mit­tei­lung vom 22.08.2017

Sehr ge­ehr­te Frau Mi­nis­ter­prä­si­den­tin Schwe­sig,
sehr ge­ehr­ter Herr Mi­nis­ter Bord­korb,
sehr ge­ehr­ter Herr Ro­se,
sehr ge­ehr­te Frau Lan­ge,
sehr ge­ehr­ter Herr Dr. Nitz­sche,
sehr ge­ehr­te Frau Dr. Hess,
wer­te Gäs­te,

es ist mir ei­ne Freu­de und Eh­re als Re­prä­sen­tant der Han­se­stadt Ros­tock am heu­ti­gen Tag die fest­li­che Ver­an­stal­tung in Er­in­ne­rung an die frem­den­feind­li­chen Aus­schrei­tun­gen 1992 in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen mit ei­nem Gruß­wort be­glei­ten zu dür­fen.

Ich möch­te Ih­nen zu­nächst ein­mal die Grü­ße des Ober­bür­ger­meis­ters über­mit­teln. Er be­dau­ert es, nicht selbst an die­ser Ver­an­stal­tung teil­neh­men zu kön­nen. Um­so mehr freue ich mich, dass er mich ge­be­ten hat, zur heu­ti­gen Ge­denk­ver­an­stal­tung ei­ni­ge Wor­te an Sie, sehr ge­ehr­te Da­men und Her­ren, rich­ten zu dür­fen.

Mei­ne Da­men und Her­ren,
die ras­sis­ti­schen und frem­den­feind­li­chen Aus­schrei­tun­gen von Ros­tock-Lich­ten­ha­gen im Jahr 1992 ha­ben die Stadt welt­weit un­rühm­lich be­kannt ge­macht und sor­gen bis heu­te weit über die Län­der­gren­zen hin­aus für Auf­se­hen. Auch wenn die Bil­der, die da­mals um die Welt gin­gen, im Lau­fe der Zeit blas­ser wer­den, prä­gen sie die Au­ßen­wahr­neh­mung un­se­rer Stadt nach wie vor und er­fül­len vie­le Men­schen in un­se­rer Stadt bis heu­te mit Scham - zu­recht.

Vor die­sem Hin­ter­grund ver­dient der heu­ti­ge Tag Ehr­lich­keit und kei­ne Schön­fär­be­rei. Und des­halb möch­te ich hier ehr­lich fest­stel­len, dass sich un­se­re Stadt nicht im­mer leicht da­mit ge­tan hat, mit der Bür­de die­ser Er­in­ne­rung um­zu­ge­hen. Be­son­ders in den ers­ten Jah­ren nach den Er­eig­nis­sen sa­ßen die emo­tio­na­len Wun­den tief. Und die ent­stan­de­nen Ris­se in un­se­rer Stadt­ge­sell­schaft mach­ten es schwer, zu ei­ner ge­mein­sa­men Be­wer­tung der Ge­scheh­nis­se zu kom­men, und ei­nen in die Zu­kunft ge­rich­te­ten Um­gang mit der Er­in­ne­rung an die­se schlim­men Ta­ge des Has­ses und der Ge­walt zu fin­den.

Aber in den letz­ten Jah­ren wuchs die Er­kennt­nis, dass ge­mein­sa­me Ver­ant­wor­tung nicht nur ei­ne Last sein muss, son­dern auch Mo­ti­va­ti­on ge­ben kann. Uns so ha­ben Ein­woh­ne­rin­nen und Ein­woh­ner, Po­li­tik, Ver­wal­tung und Zi­vil­ge­sell­schaft in den ver­gan­ge­nen Jah­ren sehr in­ten­siv be­gon­nen, die Er­eig­nis­se von 1992 auf­zu­ar­bei­ten und sich ih­rer zu er­in­nern.
So grün­de­te die Ros­to­cker Bür­ger­schaft im Jah­re 2012 die Ar­beits­grup­pe „Ge­den­ken“. Da­mit wur­de das Fun­da­ment da­für ge­legt, dass wir uns heu­te hier zu die­ser Ver­an­stal­tung in der Ma­ri­en­kir­che zu­sam­men­fin­den kön­nen.

Die­se Ar­beits­grup­pe, un­ter Vor­sitz der da­ma­li­gen Bür­ger­schafts­prä­si­den­tin Ka­ri­na Jens be­fass­te sich zu­nächst mit der Schaf­fung ei­nes wür­di­gen Ge­denk­or­tes für Meh­met Tur­gut. Meh­met Tur­gut ist im Jahr 2004 vom so­ge­nann­ten „Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Un­ter­grund“, der NSU, in Ros­tock-Dier­kow er­mor­det wor­den. Zum 10. To­des­tag, am 25. Fe­bru­ar 2014 konn­te der Ge­denk­ort ein­ge­weiht wer­den. An die­sem be­fin­den sich nun zwei, ver­setzt zu­ein­an­der, ge­gen­über­ste­hen­de Bän­ke, in de­ren Rü­cken­leh­nen zwei Ge­denk­ta­feln ein­ge­las­sen sind.
Der zen­tra­le Ar­beits­auf­trag des Gre­mi­ums war es je­doch, Vor­schlä­ge zu er­ar­bei­ten, wie und wo ein an­ge­mes­se­nes Er­in­nern an die Aus­schrei­tun­gen in Lich­ten­ha­gen von 1992 er­fol­gen soll­te.

Ein ers­tes Er­geb­nis war im Jahr 2015 die Be­set­zung ei­ner Pro­jekt­stel­le „Lich­ten­ha­gen im Ge­dächt­nis“ in Trä­ger­schaft des Ver­eins So­zia­le Bil­dung. Die Auf­ar­bei­tung, wich­ti­ger je­doch auch die Auf­klä­rung und Ver­mitt­lung von de­mo­kra­ti­scher Hal­tung ma­chen seit­dem stän­dig Fort­schrit­te. So wur­den und wer­den mit der Ein­rich­tung ei­nes zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen Ar­chivs Pres­se­mit­tei­lun­gen, Zeit­zeu­gen­be­rich­te und wei­te­re Do­ku­men­te in Bild, Ton und Schrift ge­sam­melt, um die ras­sis­ti­schen Aus­schrei­tun­gen auf­zu­ar­bei­ten. Hier­bei war es den In­itia­to­ren be­son­ders wich­tig, dass mit der Samm­lung auch all die­je­ni­gen ei­ne Stim­me be­kom­men, die in der bis­he­ri­gen Auf­ar­bei­tung noch nicht zu Wort ka­men. Die ge­sam­mel­ten Ma­te­ria­li­en die­nen als Grund­la­ge für die Er­ar­bei­tung von Bil­dungs­ma­te­ria­li­en für den schu­li­schen und au­ßer­schu­li­schen Be­reich. So­wohl die Bil­dungs­ar­beit als auch der Auf­bau des Ar­chivs sind wich­ti­ge Schrit­te in der Aus­ein­an­der­set­zung mit den Er­eig­nis­sen von Ros­tock-Lich­ten­ha­gen und das nicht nur für Kin­der und Ju­gend­li­che, son­dern auch für Er­wach­se­ne. Den Be­tei­lig­ten dan­ke ich hier­für aus­drück­lich.

Wich­tigs­tes und zen­tra­les Er­geb­nis der Ar­beits­grup­pe Ge­den­ken war das Kon­zept des „De­zen­tra­len Er­in­nerns und Mah­nens“. Es macht deut­lich, wie viel­schich­tig die frem­den­feind­li­chen und ras­sis­ti­schen Aus­schrei­tun­gen von Ros­tock-Lich­ten­ha­gen zu be­trach­ten sind. Und es zeigt zu­gleich die zahl­rei­chen Pro­blem­fel­der, Kon­flik­te, Miss­stän­de und auch ver­häng­nis­vol­le Feh­ler auf, die eng mit den Ge­scheh­nis­sen von '92 ver­knüpft sind.

Die Um­set­zung die­ses Kon­zep­tes be­inhal­te­te ei­nen künst­le­ri­schen Wett­be­werb. Ge­win­ner die­ses Wett­be­wer­bes ist die Künst­ler­grup­pe SCHAUM, be­stehend aus Alex­an­dra Lotz und Tim Kell­ner. Ih­re Ar­bei­ten tra­gen den Ti­tel „Ges­tern Heu­te Mor­gen“ und wer­den nun an fünf Or­ten im ge­sam­ten Stadt­ge­biet heu­te und in den kom­men­den Ta­gen ein­ge­weiht.
Die Po­li­zei­in­spek­ti­on Ros­tock, die Ost­see-Zei­tung und das Ju­gend­al­ter­na­tiv­zen­trum wur­den früh­zei­tig in den Ent­ste­hungs­pro­zess ein­be­zo­gen. Sie wer­den die Ein­wei­hun­gen der Kunst­wer­ke selbst­ver­ständ­lich be­glei­ten.

Sehr ver­ehr­te Gäs­te, mein gro­ßer Dank gilt den Mit­glie­dern der Ar­beits­grup­pe Ge­den­ken, die in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zwar eh­ren­amt­lich aber über­aus lei­den­schaft­lich und pro­fes­sio­nell dar­an mit­ge­wirkt ha­ben, dass wir uns al­le heu­te un­se­rer Ver­ant­wor­tung stel­len, die aus den Er­eig­nis­sen von 1992 er­wächst.

Um dies zu er­rei­chen war und ist es not­wen­dig, mög­lichst vie­le Men­schen ak­tiv ein­zu­bin­den. Auch hier­für ist die brei­te Zu­sam­men­set­zung der AG Ge­den­ken ein gu­tes Bei­spiel. In der Ar­beits­grup­pe, die seit 2014 vom Bür­ger­schafts­prä­si­den­ten Dr. Wolf­gang Nitz­sche ge­lei­tet wird, en­ga­gie­ren sich Ver­tre­ter von Orts­bei­rä­ten, des Mi­gran­ten­rats, von Ver­ei­nen wie Di­en Hong, LOB­BI und Bunt statt braun, der Frak­tio­nen der Bür­ger­schaft, des Zen­tral­rats Deut­scher Sin­ti und Ro­ma und Wis­sen­schaft­ler der Uni­ver­si­tät Ros­tock.
Ganz herz­li­chen Dank für Ihr gro­ßes En­ga­ge­ment in der Ar­beits­grup­pe.

Mei­ne sehr ge­ehr­ten Da­men und Her­ren,
vie­le von Ih­nen wer­den sich si­cher­lich die Fra­ge stel­len, ob sich die Er­eig­nis­se von Ros­tock-Lich­ten­ha­gen wie­der­ho­len könn­ten. Ich sa­ge: das kön­nen sie nicht!
Die Han­se­stadt Ros­tock, ih­re Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, Po­li­tik, Ver­wal­tung und zahl­rei­che In­sti­tu­tio­nen ha­ben je­doch aus den Ge­scheh­nis­sen in Lich­ten­ha­gen vor 25 Jah­ren ge­lernt. Ge­mein­sam wer­den wir nicht zu­las­sen, dass sich auch nur et­was an­nä­hernd Ähn­li­ches wie 1992 in un­se­rer Stadt wie­der­holt.
Wenn wir al­le ge­mein­sam für­ein­an­der ein­ste­hen, ha­ben Hass und Ge­walt in die­ser Stadt kei­ne Chan­ce! Tag­täg­lich en­ga­gie­ren sich vie­le Ros­to­cke­rin­nen und Ros­to­cker für ein of­fe­nes und to­le­ran­tes Mit­ein­an­der. Dies ist das heu­ti­ge Ros­tock – hu­ma­nis­tisch, de­mo­kra­tisch und selbst­los. Ich bin stolz auf all un­se­re Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger, die ih­re Ver­ant­wor­tung für un­se­re fried­li­che Stadt­ge­sell­schaft mit Wort und vor al­lem Tat wahr­neh­men und so ei­nen wert­vol­len Teil zur Auf­ar­bei­tung der ras­sis­ti­schen Aus­schrei­tun­gen von 1992 ge­leis­tet ha­ben und im­mer noch leis­ten. Ih­nen gilt un­ser al­ler Dank!

Die Auf­ar­bei­tung der Er­eig­nis­se ist ein fort­dau­ern­der Pro­zess. Nicht zu re­den, hei­ßt auch zu ver­ges­sen. Und auch nach 25 Jah­ren soll­te „Lich­ten­ha­gen 1992“ we­der ver­ges­sen noch ver­drängt, aber auch nicht be­schö­nigt wer­den. Manch­mal muss man die al­ten Wun­den wie­der auf­rei­ßen, um so zu ver­hin­dern, dass neue, wo­mög­lich grö­ße­re ent­ste­hen. Und da­her ist es von so gro­ßer Be­deu­tung, dass wir uns wei­ter­hin er­in­nern, ge­den­ken und auch mah­nen.

Dass sich ganz vie­le von uns der Ver­ant­wor­tung stär­ker be­wusst sind und dass sich Stadt und Zi­vil­ge­sell­schaft auf den Weg ge­macht ha­ben, ist un­ter an­de­rem auch dar­an zu er­ken­nen, dass wir uns im Jahr 2015 in be­son­de­rer Art und Wei­se als welt­of­fen, hilfs­be­reit und so­li­da­risch prä­sen­tiert ha­ben. In ei­nem Jahr, in dem die Han­se­stadt Ros­tock auf den Flücht­lings­strom zu re­agie­ren und kurz­fris­tig für Tau­sen­de Flücht­lin­ge auf dem Weg nach Skan­di­na­vi­en zu sor­gen hat­te. Be­trach­ten wir dies als ein Re­sul­tat des Er­in­nerns und un­se­rer Hal­tung.

Die Han­se­stadt Ros­tock, ih­re Ein­woh­ner und Ein­woh­ne­rin­nen, Po­li­tik, Ver­wal­tung und zahl­rei­che In­sti­tu­tio­nen ha­ben aus der Ver­gan­gen­heit ge­lernt und wer­den ge­mein­sam nicht zu­las­sen, dass sich dies wie­der­holt. An­läss­lich des 25. Jah­res­ta­ges von „Ros­tock-Lich­ten­ha­gen“ wer­den in den kom­men­den Ta­gen zahl­rei­che Ge­denk­ver­an­stal­tun­gen statt­fin­den.

Neh­men wir je­ne zum An­lass, uns ge­mein­sam, mu­tig und vol­ler Zu­ver­sicht ge­gen Aus­gren­zung, Frem­den­feind­lich­keit und Ras­sis­mus ein­zu­set­zen. In un­se­rer Stadt le­ben, ar­bei­ten und fei­ern Men­schen ver­schie­de­ner Na­tio­nen ne­ben- und mit­ein­an­der. Die Han­se­stadt Ros­tock ist heu­te to­le­rant, welt­of­fen und nicht zu­letzt gast­freund­lich.

Un­ge­ach­tet des­sen, mahnt und ver­pflich­tet uns das, was in Lich­ten­ha­gen ge­sche­hen ist, bis heu­te und auch in Zu­kunft. Ge­ra­de die bei­den letz­ten Jah­re ha­ben ge­zeigt, dass der Um­gang mit Mi­gra­ti­on und In­te­gra­ti­on, mit Res­sen­ti­ments und auch mit öf­fent­li­cher Zu­stim­mung zu rechts­ex­tre­men Straf­ta­ten enor­me Her­aus­for­de­run­gen für die ge­sam­te Ge­sell­schaft blei­ben.

Kurz­um: Wir, die Han­se­stadt Ros­tock und Ih­re Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, sind uns un­se­rer Ver­ant­wor­tung be­wusst: ges­tern, heu­te und auch mor­gen.
Vie­len Dank.