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Na­vi­ga­ti­on

Kon­flik­te nicht un­ter dem Weih­nachts­baum er­trän­ken

Pres­se­mit­tei­lung vom 05.12.2003

Im Ge­spräch mit der Sucht- und Psych­ia­trie­ko­or­di­na­to­rin der Han­se­stadt Ros­tock, Dr. Ant­je Wro­ciszew­ski

Fröh­li­che Weih­nach­ten rückt nä­her. Am Fest­tags­tisch sitzt mit­un­ter bei­ein­an­der, was ei­gent­lich nicht zu­sam­men­ge­hört und kos­te es was es wol­le. Wenn die Ker­zen bren­nen, wer­den Kon­flik­te un­ter den Tisch ge­kehrt und im Ex­trem­fall hoch­pro­zen­tig her­un­ter­ge­spült. Kon­flikt­be­wäl­ti­gung im Schnell­wasch­gang, ein Prin­zip, das nicht funk­tio­nie­ren kann. Da­zu ein Ge­spräch mit der Sucht- und Psych­ia­trie­ko­or­di­na­to­rin, Dr. Ant­je Wro­ciszew­ski.

Fra­ge: Weih­nach­ten ist das Fest der Fa­mi­lie. War­um bre­chen ge­ra­de hier oft Kon­flik­te auf?
Dr. Wro­ciszew­ski: Weil al­le auf en­gem Raum zu­sam­men­kom­men und na­tür­lich al­les per­fekt sein soll. Doch die hei­le Welt ist ei­ne Il­lu­si­on.

Fra­ge: Al­ko­hol sug­ge­riert man­chem dann ei­nen Aus­weg...
Dr. Wro­ci­zew­ski: Lei­der ja. Al­ko­ho­lis­mus ist in Ros­tock nach wie vor ein Pro­blem. Man schätzt, dass rund 10.000 Ros­to­cker al­ko­hol­ab­hän­gig sind. Die Dun­kel­zif­fer ist si­cher noch hö­her. Und der Trend zeich­net sich ab, dass im­mer mehr jun­ge Leu­te zur Fla­sche grei­fen.

Fra­ge: ...weil man nur so cool sein kann?
Dr. Wro­ciszew­ski: In die­sem Al­ter ja. Da wol­len die Kids ein­fach nur den Kick des Rau­sches. Grup­pen­zwang und Aben­teu­er­lust ver­bin­den sich zu ei­ner ge­fähr­li­chen Mi­schung. Im Er­wach­se­nen­al­ter ge­ben oft Schlüs­sel­er­leb­nis­se den Ein­stieg, et­wa Pro­ble­me in der Part­ner­schaft, Per­spek­tiv­lo­sig­keit nach län­ge­rer Ar­beits­lo­sig­keit oder ein Kon­flikt in der Fa­mi­lie.

Fra­ge: War­um soll ge­ra­de der Griff zur Fla­sche die Pro­ble­me lö­sen?
Dr. Wro­ciszew­ski: Er be­täubt. Im Rausch er­schei­nen die Kon­flik­te we­ni­ger grau­sam. Um so schlim­mer wird aber das Er­wa­chen. Denn die Pro­ble­me blei­ben und kör­per­li­che Schä­den kom­men da­zu.

Fra­ge: Al­ko­hol wird in ge­sel­li­ger Run­de oft ge­wünscht oder zu­min­dest to­le­riert. Ab wann wird es ge­fähr­lich?
Dr. Wro­ciszew­ski: Al­so, es ist si­cher nichts ge­gen ein Glas Wein bei ei­nem ge­müt­li­chen Plausch ein­zu­wen­den. Aber die Gren­ze kann schnell über­schrit­ten sein. Trin­ken Frau­en mehr als 20 Gramm und Män­ner mehr als 60 Gramm rei­nen Al­ko­hol täg­lich, so ist das Ri­si­ko bei­spiels­wei­se ei­ner Le­ber­zir­rho­se er­heb­lich er­höht. Da­zu soll­te man wis­sen, dass ein simp­les Glas Wein im­mer­hin schon 16 Gramm rei­nen Al­ko­hol ent­hält.

Fra­ge: Gibt es über­haupt so et­was wie ma­ß­vol­les Trin­ken?
Dr. Wro­ciszew­ski: Wer gar nicht auf Al­ko­hol ver­zich­ten möch­te, der kann - ei­ne ge­sun­de Le­ber vor­aus­ge­setzt - an zwei bis drei Ta­gen in der Wo­che als Mann rund ei­nen Li­ter Bier und als Frau ein Drit­tel Li­ter Bier kon­su­mie­ren, oh­ne dass Or­gan­schä­den zu be­fürch­ten sind. Grund­sätz­lich soll­te man aber nicht ver­ges­sen, dass Al­ko­hol ein Gift ist und der mensch­li­che Kör­per qua­si als che­mi­sche Fa­brik da­mit fer­tig wer­den muss.

Fra­ge: Wie viel Men­schen sind in Deutsch­land von der Dro­ge Al­ko­hol ab­hän­gig?
Dr. Wro­ciszew­ski: Man schätzt rund vier Mil­lio­nen Men­schen. 40.000 To­te sind da­durch all­jähr­lich zu be­kla­gen. Je­des fünf­te Kran­ken­haus­bett wird in­zwi­schen von ei­nem Sucht­kran­ken be­legt, ob nun Al­ko­hol, Ta­blet­ten oder an­de­res. Je­der zehn­te Arzt­be­such wid­met sich dem The­ma Sucht. Fra­ge: Wo ist nun der Aus­weg aus dem Teu­fels­kreis? Dr. Wro­ciszew­ski: Man muss das Pro­blem an der Wur­zel pa­cken, um nach Mög­lich­keit gar nicht erst in die Ab­hän­gig­keit zu ge­ra­ten. Das hei­ßt, Kon­flik­te ver­su­chen zu lö­sen.

Fra­ge: ...un­ter dem Weih­nachts­baum?
Dr. Wro­ciszew­ski: Ja, war­um ei­gent­lich nicht? Ge­ra­de so ein Jah­res­wech­sel ist ge­eig­net, über sei­ne Ge­füh­le und Wün­sche im Rück­blick und für die kom­men­den Mo­na­te zu spre­chen. Was kön­nen wir uns als Fa­mi­lie an Ge­mein­sam­kei­ten be­wah­ren? Und da­bei soll­te man vor al­lem die Kin­der nicht ver­ges­sen. Oft sind El­tern im Ar­beits­all­tag der­art über­las­tet, dass sie sich ih­ren Kin­dern kaum noch wid­men. Ge­ne­rell soll­te man über­le­gen, wie man sich in­ner­halb der Fa­mi­lie öf­ter zei­gen kann, dass man ein­an­der wich­tig ist.

Fra­ge: Und wenn der Kon­flikt­part­ner ge­ra­de nicht zum Ge­spräch zur Ver­fü­gung steht?
Dr. Wro­ciszew­ski: Man soll­te ver­su­chen, ei­nen An­sprech­part­ner des Ver­trau­ens zu fin­den und sein Pro­blem nicht mit sich al­lein her­um­tra­gen. Schlie­ß­lich ist man auch nicht der ein­zi­ge auf die­ser Welt, der von Sor­gen ge­plagt wird. Da­zu kann man sich bei­spiels­wei­se an die Te­le­fon­seel­sor­ge wen­den. Wer sein Pro­blem al­lein be­wäl­ti­gen will, kann ver­su­chen, sich mit ver­schie­de­nen Me­tho­den da­von zu be­frei­en. Ei­ne Va­ri­an­te ist bei­spiels­wei­se, ein Ta­ge­buch zu schrei­ben, so wie man es aus Kin­der­ta­gen kennt. Man kann auch ei­nen Brief an den Kon­flikt­part­ner for­mu­lie­ren und da­nach ent­schei­den, ob man ihn ab­schi­cken will oder nicht. Als gu­te Me­tho­de bie­tet sich auch an, all sei­ne Pro­ble­me auf ei­nem Zet­tel zu no­tie­ren und die­sen dann, mit ei­nem Stein be­schwert, ein­fach in der Ost­see zu ver­sen­ken. Auf die­se Art und Wei­se be­freit man sich sym­bo­lisch von sei­nen Sor­gen.

Fra­ge: Wo wen­den sich die­je­ni­gen hin, de­nen das Pro­blem Al­ko­hol schon über den Kopf ge­wach­sen ist?
Dr. Wro­ciszew­ski: Auch über die Fei­er­ta­ge sind Be­ra­tungs­stel­len zu er­rei­chen wie bei­spiels­wei­se Tro­cken­dock e.V., IN­THIS, der Ca­ri­tas- Kon­takt­la­den und die Evan­ge­li­sche Sucht­be­ra­tung.

Fra­ge: Kön­nen sich auch An­ge­hö­ri­ge dort Rat und Hil­fe ho­len?
Dr. Wro­ciszew­ski: Un­be­dingt. Ge­ra­de die­se soll­ten sich an die Ein­rich­tun­gen wen­den. Denn die Be­trof­fe­nen selbst kön­nen ihr ge­walt­sa­mes Han­deln ge­gen ih­ren ei­ge­nen Kör­per oft gar nicht mehr rich­tig be­wer­ten und hal­ten sich zu­meist auch nicht für al­ko­hol­ab­hän­gig.

Fra­ge: Wel­che Hil­fen gibt es noch?
Dr. Wro­ciszew­ski: In Be­trie­ben wer­den manch­mal An­sprech­part­ner in Sucht­hil­fe­fra­gen an­ge­bo­ten. Dort soll­te man sich er­kun­di­gen. So ar­bei­tet bei­spiels­wei­se in der Stadt­ver­wal­tung seit 1997 ei­ne Ar­beits­grup­pe Sucht­prä­ven­ti­on, die na­tür­lich auch für An­ge­hö­ri­ge Sucht­kran­ker an­sprech­bar ist. Dar­über hin­aus ha­ben wir jetzt ein In­ter­net-Pro­jekt "Ju­gend und Dro­gen" in­iti­iert, das jun­ge Leu­te an die Pro­ble­ma­tik Dro­gen­mißbrauch her­an­füh­ren soll. Da­bei geht es dar­um, ein In­ter­net- Por­tal zum The­ma selbst zu ge­stal­ten. In­ter­es­sen­ten kön­nen sich bis zum 5. Ja­nu­ar über ih­re Schu­len oder das Ge­sund­heits­amt an­mel­den.

Vie­len Dank für das Ge­spräch.
(Das Ge­spräch führ­te Kers­tin Ka­naa)