Home
Navigation

Laudatio zur Ehrenbucheintragung von Herrn Nguyen

Pressemitteilung vom 24.10.2002

24. Oktober 2002

Laudatio zur Ehrenbucheintragung von Herrn Nguyen
Do Thinh, Vorsitzender des Vereins “Diên Hông - Gemeinsam unter einem Dach", am 24. Oktober 2002

Sehr geehrter Herr Nguyen do Thinh,
sehr geehrte Frau Ministerin Bunge,
sehr geehrte Frau Beck, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Bundes und des Landes,
sehr geehrte Herr Präsident der Bürgerschaft,
meine Damen und Herren,

“Fremd ist der Fremde nur in der Fremde".

Das Zitat aus der Feder des berühmten Humoristen Karl Valentin ist der Leitgedanke des Vereins “Diên Hông - Gemeinsam unter einem Dach".

Dessen Vorsitzender Nguyen do Thinh ist Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, und den Bürgerinnen und Bürgern Rostocks längst kein Fremder mehr. Und dank seines herausragenden Engagements für ein friedliches und von gegenseitigem Respekt und Verständnis getragenes Miteinander der Kulturen ist die Hansestadt für viele zugereiste Rostockerinnen und Rostocker keine Fremde geblieben. Mit der Eintragung in das Ehrenbuch der Stadt würdigen wir heute einen Freund und geschätzten Bürger, der außerordentlich viel dafür getan hat, dass Fremde in unserer Stadt zu Freunden werden und das Leben in Rostock vielfältig und bunt ist.

Sehr geehrter Herr Thinh,

1982 haben Sie Ihr wunderschönes, aber von den verheerenden Kriegsfolgen noch schwer gezeichnetes Heimatland Vietnam verlassen und sind als 20-jähriger Vertragsarbeiter in die damalige DDR gekommen. Wie schwierig es ist, in der Fremde Fuß zu fassen und heimisch zu werden, haben Sie hier am eigenen Leibe erfahren müssen.

“Taking root in hard Ground" ist der Titel eines Gemeinschaftsprojektes des Vereins “Diên Hông" gemeisam mit der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Wanderausstellung zeigt Fotografien, die versuchen, neben Hoffnungen, Träumen und Illusionen der Zugewanderten deren Bemühungen einzufangen, in der Fremde heimisch zu werden. In für mich beeindruckender Weise haben Sie, Herr Thinh, vor einiger Zeit im Rahmen der Erinnerungsveranstaltung an die Ereignisse in Lichtenhagen zu diesem Punkt Ihre ganz persönlichen Erfahrungen und Gefühle zum Ausdruck gebracht. Mir wurde wieder einmal deutlich, wie schwer es ist, die Heimat verlassen zu müssen und “Wurzeln in hartem Grund" zu schlagen.

Für Sie als ehemaligen Matrosen der vietnamesischen Handelsflotte mag Rostocks Nähe zum Meer ein kleiner Trost in der Fremde gewesen sein. Die erste berufliche Station war der Seehafen Rostock. Sehr schnell haben Sie eine hochqualifizierte Berufsausbildung und ein Studium zum Meister für Maschinenbau in Angriff genommen.

Ihr besonnenes, aber bestimmtes Auftreten und Ihre Integrität machten Sie schon zu dieser Zeit zu einem ganz wichtigen Ansprechpartner für Ihre Landsleute. So war es kein Wunder, dass Sie Ihre besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten Ende der achtziger Jahre auch außerhalb Rostocks als Betreuer und Dolmetscher für eine Gruppe vietnamesischer Vertragsarbeiter einsetzen konnten.

Diese Fähigkeiten wurden in den politischen Wendejahren nötiger denn je. Denn nicht nur für die deutsche Bevölkerung, sondern insbesondere die ausländischen Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer mußten gravierende gesellschaftliche Veränderungen bewältigen.

Während sich für die damaligen DDR-Bürger Visionen und neue Perspektiven eröffneten und gerade die erste Zeit von Euphorie und Aufbruchstimmung geprägt war, stellte sich die Lage für die ausländischen Abkommensarbeitnehmern ganz anders dar. Wie viele Rostockerinnen und Rostocker verloren auch Sie, sehr geehrter Herr Thinh, seinerzeit Ihre Arbeit. Die Vertragsarbeiter der ehemaligen DDR waren von der einsetzenden Entlassungswelle ganz besonders betroffen. Darüber hinaus waren aber auch die Rahmenbedingungen ihres Aufenthaltes völlig ungeklärt, ja mehr als unsicher. Wurzeln, die bis jetzt in den harten Grund des Lebens in Deutschland geschlagen wurden, waren in Gefahr, wieder endgültig gekappt zu werden.

Aber anstatt die eigene Situation zu beklagen, haben Sie sich aufgemacht und Ihre Tatkraft und Ihre Erfahrungen in den Dienst Anderer gestellt - eine Eigenschaft, die ich schon damals außerordentlich an Ihnen geschätzt habe. Als Betreuer und Dolmetscher konnten Sie in der Beratungsstelle für Vietnamesinnen und Vietnamesen in Rostock viele Ihrer Landsleute dabei unterstützen, sich in der schwierigen materiellen und sozialen Situation zurecht zu finden.

Zu damaliger Zeit prägten zunehmend Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen ausländischer Herkunft das gesellschaftliche Klima. Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit nahmen rapide zu. In Rostock fand 1992 der Ausländerhass sein Publikum, als über Tage Bürger der Stadt und Zugereiste johlend und randalierend vor dem Sonnenblumenhaus im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen standen, Molotowcocktails in die Unterkünfte der dort lebenden Vietnamesen warfen und Leib und Leben der Bewohner bedrohten.

Wir werden Ihren beeindruckenden Mut nie vergessen, als Sie im Fernsehen von den Ausschreitungen in Lichtenhagen Kenntnis bekamen und die Rettungsaktion der dort lebenden Vietnamesinnen und Vietnamesen sowie noch zahlreich verbliebener Asylbewerber mit organisierten und leiteten. Auch Dank Ihres persönlichen Einsatzes konnte seinerzeit Schlimmeres verhindert werden.

Fast zehn Jahre hat es gedauert, bis die Täter von damals zur Verantwortung gezogen wurden. Gemeinsam mit dem Ausländerbeauftragten der Stadt haben Sie als Nebenkläger im Schweriner Landgericht im Prozeß gegen die mutmaßlichen Täter des Brandanschlages in Lichtenhagen fungiert. Lassen Sie mich Ihnen nochmals versichern, dass die juristische Aufarbeitung der Ereignisse vom August 1992 in Rostock-Lichtenhagen kein Schlussstrich unter unsere Anstrengungen für Völkerverständigung und Toleranz ist. Die Erinnerung an die Progrome ist uns Mahnung und Verpflichtung zugleich, auch weiterhin alles dafür zu tun, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Rostock der Nährboden entzogen wird.

Sehr geehrter Herr Thinh,

die längst überfällige juristische Aufarbeitung hat die Erinnerung an die traumatischen Ereignisse in Lichtenhagen in Ihnen wieder schmerzlich lebendig werden lassen. Die Zeit des Prozesses und der persönlichen Konfrontation mit den Tätern hatte Sie sichtlich mitgenommen. Im persönlichen Kontakt und auch im Rahmen bereits erwähnten Erinnerungsveranstaltung zu 10. Jahrestag der Ausschreitungen waren der Schmerz und das Leid, dass diese Progrome verursacht haben, förmlich zu spüren.

Es wäre mehr als verständlich gewesen, wenn Sie sich nach diesen traumatischen Erlebnissen von der Stadt und seinen Bürgern abgewandt hätten. Sie haben dies nicht getan - im Gegenteil. Sie haben entschlossen und couragiert der Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft und in der Stadt Rostock ins Gesicht gesehen und aktiv etwas gegen Intoleranz und für die Verständigung zwischen Vietnamesen und Rostockern unternommen.

Als Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender des Vereins “Diên Hông - Gemeinsam unter einem Dach", dessen 10-jähriges Bestehen wir heute feiern, und als gewähltes Mitglied des Ausländerbeirates waren und sind Sie eine unverzichtbare Stimme für die Menschen ausländischer Herkunft in unserer Stadt. “Meine Waffe ist das Wort" - so haben Sie selbst einmal Ihren Einsatz für ein friedliches Miteinander charakterisiert.

Für alle unüberhörbar erheben Sie Ihre Stimme, wenn es darum geht, die Interessen von Migrantinnen und Migranten in der Hansestadt zu vertreten. Es genügt Ihnen aber nicht, auf Defizite und Versäumnisse nur aufmerksam zu machen. Von Anfang an haben Sie ganz praktisch an dem Integrationsprozess der hier lebenden Menschen ausländischer Herkunft mitgearbeitet.

Sie haben Begegnungen und Feste organisiert und die Rostockerinnen und Rostocker mit der vietnamesischen Kultur vertraut gemacht. Und Sie haben Projekte auf den Weg gebracht und begleitet, die Migranten durch sprachliche und berufliche Qualifizierung eine Chance für den Arbeitsmarkt und eine berufliche Perspektive eröffnet.

Durch den Besuch von Weiterbildungsseminaren im Bereich der Jugend- und Sozialarbeit und schließlich durch ein Studium in der Fachrichtung Sozialpädagogik haben Sie in den letzten Jahren Ihre Berufung zum Beruf gemacht. Insbesondere der Arbeit mit jungen Menschen galt und gilt weiterhin Ihre Aufmerksamkeit. Denn leider sind es oft - wenn auch nicht ausschließlich - junge Menschen, die für ausländerfeindliches Gedankengut empfänglich sind und deren Hass sich in Gewalt entlädt.

Als Projektleiter des interkulturellen Jugendtreffs unter dem Dach von “Diên Hông" führen Sie Jugendliche deutscher und ausländischer Herkunft zusammen, schaffen Begegnungen, nehmen Berührungsängste und wirken aktiv Vorurteilen und Intoleranz entgegen. Dies ist ein langer und manchmal auch beschwerlicher Weg, der viel Einsatz und Beharrlichkeit erfordert. Denn leider können wir in bezug auf fremdenfeindlich motivierte Straftaten in unserem Land keine Entwarnung geben. Toleranz, Respekt und Mitmenschlichkeit lassen sich aber nicht verordnen. Kein Gesetz und kein Beschluss kann Engstirnigkeit und Intoleranz aus den Köpfen und Herzen der Menschen verbannen. Das Vorbild und die persönliche Begegnung sind immer noch die besten Lehrmeister. Deshalb bleiben Pro-jekte, wie der eben beschriebene interkulturelle Jugendtreff und das leidenschaftliche Engagement von Menschen wie Herrn Nguyen do Thinh auch auf lange Zeit unverzichtbar.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Thinh,

Ihre Arbeit und Ihr Wirken hier in Rostock führt uns beispielhaft das Wesen von Integration vor Augen: Nicht Assimilation, passive Anpassung oder gar Unterordnung von Migranten an die Kultur des Gastlandes oder der neuen Heimat ist deren Kern. Es ist vielmehr das tägliche Bemühen aller gesellschaftlichen Kräfte, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur gemeinsame Erfahrungen sammeln, eine gemeinsame Geschichte schreiben, sich an gemeinsame Werte gebunden fühlen. Integration bedeutet nicht Entwurzelung. Aber es bedeutet - so drückte es einmal Bundespräsident Johannes Rau aus, “dass die gemeinsame Zukunft Stück für Stück wichtiger wird als die unterschiedliche Herkunft".

Sie, Herr Thinh, tragen auf Ihre Weise ein großes Stück zur Zukunftsfähigkeit unserer Stadt bei. In einer immer vernetzter werdenden, globalisierten Welt und einem zusammenwachsenden Europa ist die Bereitschaft, aufeinander zu zu gehen und von einander lernen zu wollen, notwendige Voraussetzung für sozialen Frieden und wirtschaftlichen Wohlstand, auch und gerade in unserer Stadt. Diese Bereitschaft haben Sie stets eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Sehr verehrte Gäste, sehr geehrter Herr Thinh,

als Mitglied des Vereins freue ich mich sehr, dass “Bunt statt Braun e.V." angeregt hat, Ihr langjähriges erfolgreiches Engagement um das friedliche Zusammenleben von Bürgern unterschiedlichster Herkunft in unserer Stadt zu würdigen. Wir sind diesem Vorschlag sehr gerne gefolgt, weil er uns die Möglichkeit eröffnet, Ihnen, Herr Thinh, gleichzeitig unseren Dank für Ihr herausragendes soziales und kulturelles Engagement für die Integration von Migrantinnen und Migranten in der Hansestadt auszusprechen. Sie tragen täglich durch Ihre persönliche Mitwirkung dazu bei, dass Rostock weltoffener und gastfreundlicher wird und Rostockerinnen und Rostocker, egal woher sie kommen und welche kulturellen Wurzeln sie auch haben mögen, einander nicht fremd bleiben.

Ihr Kampf gegen Fremdenhass und Rechtsextremismus setzt deutliche Zeichen und ist für die Bürgerinnen und Bürger jedweder Herkunft eine ermutigendes Beispiel, in ihrer Haltung und ihren Handlungen Solidarität, Toleranz und Zivilcourage zu zeigen. Für viele Menschen in unserer Stadt sind Sie zum Vorbild, Ansprechpartner und Freund geworden.

Lieber Herr Thinh,

vor einem Monat haben sie Ihren 40. Geburtstag gefeiert. Knapp einen Monat danach, da stimmen sie, liebe Gäste, sicherlich mit mir überein, kann man auch dazu noch recht herzlich gratulieren. Wir alle wünschen Ihnen weiterhin Gesundheit und Wohlergehen im Kreise Ihrer Familie und viel Energie und Kraft, Mut und Ideen für ein lebens- und liebenswertes, buntes Rostock.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

die Hansestadt Rostock ehrt und dankt Herrn Nguyen Do Thinh für seine außerordentlichen Verdienste um die Völkerverständigung und die Bereicherung des Sozial- und Kulturlebens unserer Hansestadt mit der Eintragung in das Ehrenbuch. x x

   i