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Na­vi­ga­ti­on

Lau­da­tio­nes zu den Eh­ren­buch­ein­tra­gun­gen von Hart­wig Eschen­burg und Prof. Pe­ter Heid­rich

Pres­se­mit­tei­lung vom 28.04.2000

28. April 2000

Lau­da­tio­nes zu den Eh­ren­buch­ein­tra­gun­gen
von Hart­wig Eschen­burg und Prof. Pe­ter Heid­rich


Es gilt das ge­spro­che­ne Wort.

Lau­da­tio von Bür­ger­schafts­prä­si­dent Prof. Ralf Fried­rich an­lä­ß­lich der Ein­tra­gung in das Eh­ren­buch von Hart­wig Eschen­burg am 28.04.2000.

„Die ed­le Mu­sik ist nach Got­tes Wort der höchs­te Klang auf Er­den. Sie re­giert die Ge­dan­ken, Sinn, Herz und Mut.“

Mei­ne Da­men und Her­ren,

wenn wir heu­te hier zu­sam­men­ge­kom­men sind, um das bis­he­ri­ge Wir­ken Hart­wig Eschen­burgs in der Han­se­stadt Ros­tock zu wür­di­gen, so den­ke ich, dass die­ses Zi­tat von Mar­tin Lu­ther uns den Weg weist, uns die­sem Ziel - wenn auch frag­men­ta­risch - zu nä­hern.

Das wir dies erst heu­te tun, nach­dem Ih­re Dienst­zeit als Kan­tor der St. Jo­han­nis­ge­mein­de be­reits im Ja­nu­ar en­de­te, ist dem glück­li­chen Um­stand ge­schul­det, dass wir heu­te gleich­zei­tig Herrn Prof. Heid­rich eh­ren wer­den, ein lang­jäh­ri­ger Be­glei­ter und Freund Ih­rer Ar­beit.

Es wür­de den zeit­li­chen Rah­men heu­te spren­gen, soll­te ich al­le her­vor­ra­gen­den Kon­zert­er­leb­nis­se auf­zäh­len, die uns Ih­re Chö­re über die Zeit be­schert ha­ben. Las­sen Sie mich nur ei­ni­ge Bei­spie­le nen­nen:

Die Auf­füh­rung der h-Moll Mes­se zur Wie­der­eröff­nung der Kir­che St. Ni­co­lai als Kon­zert­saal 1994, die Auf­füh­run­gen des Bach­schen Weih­nachts­ora­to­ri­ums, seit 1969 fast je­des Jahr die Weih­nachts­ge­schich­te von Carl Orff, die Mat­thä­us-Pas­si­on wäh­rend des un­ter Ih­rer Lei­tung ste­hen­den Bach­fes­tes der neu­en Bach­ge­sell­schaft 1995 in Ros­tock, und nicht zu­letzt die Auf­füh­rung des War-Re­qui­ems an­läss­lich des 50. Jah­res­ta­ges des Kriegs­en­des und sei­ner Wie­der­auf­füh­rung am 1. Sep­tem­ber 1999 mit pol­ni­schen Mit­wir­ken­den in Ros­tock und bei der Teil­nah­me am Ore­gon-Bach Fes­ti­val in den USA ge­mein­sam mit ei­nem ame­ri­ka­ni­schen und ja­pa­ni­schen Chor.

Dies sind nur ei­ni­ge Bei­spie­le für kon­ti­nu­ier­li­ches, künst­le­ri­sches Schaf­fen. Wer er­in­nert sich nicht an die­se und an­de­re un­ver­gess­li­che Kon­zert­er­leb­nis­se. Vor zehn Jah­ren stell­te Prof. Ril­ling fest, dass er die „Ar­beit, die Eschen­burg in Ros­tock ge­leis­tet hat, für die wich­tigs­te, wenn nicht die be­deut­sams­te kir­chen­mu­si­ka­li­sche Ar­beit in der DDR“ hält.“

Un­be­strit­ten ist, dass Sie über Ihr künst­le­ri­schen Wir­ken hin­aus, von dem noch die Re­de sein wird, für das kul­tu­rel­le Le­ben Ros­tocks enorm viel ge­leis­tet ha­ben. Als Vor­sit­zen­der des Mu­sik­ra­tes, als Mit­glied im Ku­ra­to­ri­um „Mu­sik­som­mer Meck­len­burg-Vor­pom­mern“ und als Mo­de­ra­tor des Run­den Ti­sches Kul­tur ge­stal­te­ten Sie ein of­fe­nes Kli­ma der Aus­ein­an­der­set­zung für das kul­tu­rel­le Le­ben mit. Zur Grün­dung der Hoch­schu­le für Mu­sik und Thea­ter tru­gen Sie ma­ß­geb­lich bei. Der Kul­tur­preis des Lan­des Meck­len­burg-Vor­pom­mern 1995 und die Ver­lei­hung des Bun­des­ver­dienst­kreu­zes 1998 le­gen da­für Zeug­nis ab. Be­reits 1988 wur­den Sie - und das soll hier nicht un­er­wähnt blei­ben - mit dem Kul­tur­preis der Stadt Ros­tock aus­ge­zeich­net.

Fast 40 Jah­re auf­bau­en­de Kon­ti­nui­tät - über die Zei­ten­wen­de der Wie­der­ver­ei­ni­gung un­se­res Lan­des hin­weg, das so den­ke ich un­ter­streicht, die Be­deu­tung Ih­res Schaf­fens. Es ist Hart­wig Eschen­burg zu ver­dan­ken, dass die St. Jo­han­nis- Kan­to­rei zu die­ser Blü­te ge­langt ist. Der Ros­to­cker Mo­tet­ten­chor war der ein­zi­ge Kir­chen­chor in der DDR, der 1985 erst­mals zu ei­ner Schall­plat­ten­auf­nah­me zu­ge­las­sen wur­de. Und es war kei­nes­wegs ei­ne be­lie­bi­ge Auf­nah­me, son­dern die Ein­spie­lung sämt­li­cher Mo­tet­ten und meh­re­rer Chor­sät­ze Jo­hann Se­bas­ti­an Bachs. Da­mit ha­ben der Ros­to­cker Mo­tet­ten­chor und sein Di­ri­gent sich da­mals weit über die Gren­zen der DDR hin­aus ei­nen Na­men ge­macht. Ich bin si­cher Herr Eschen­burg, dass die Wer­ke des Man­nes, des­sen 250. To­des­tag wir zum An­lass neh­men, das Jahr 2000 als Bach­jahr zu fei­ern, in Ih­rem Le­ben ei­nen be­son­de­ren Platz ein­neh­men.

Sie ge­stal­te­ten ei­ni­ge Bach­fes­te ma­ß­geb­lich mit. Ge­mein­sam mit Prof. Heid­rich mach­ten Sie durch die Ver­an­stal­tungs­form „Bach­kan­ta­te: Ein­füh­rung - Aus­füh­rung“ auch ei­nem brei­te­rem Hö­rer­kreis die text­li­che und mu­si­ka­li­sche Ar­chi­tek­tur ei­ner Kan­ta­te er­leb­bar. An­lä­ß­lich Ih­rer Ver­ab­schie­dung im Fe­bru­ar wähl­ten Sie fol­gen­de Arie von Bach zu Ih­rem per­sön­li­chen Be­kennt­nis:

„Be­ken­nen will ich Sei­nen Na­men,
er ist der Herr, er ist der Christ,
in wel­chem al­le Völ­ker Sa­men
ge­seg­net und er­lö­set ist,
kein Tod raubt mir die Zu­ver­sicht,
der Herr ist mei­nes Le­bens Licht.“

Ih­re fes­te Ver­wur­ze­lung im christ­li­chen Glau­ben be­grün­det die Di­men­si­on Ih­res Schaf­fens. Denn da­mit ha­ben Sie nicht nur Dienst an der Mu­sik ge­leis­tet, son­dern vor al­lem an den Men­schen. Sie selbst er­läu­ter­ten 1988 in ei­nem In­ter­view mit der Ost­see­zei­tung, dass nur der Mo­tet­ten­chor Auf­nah­me­be­din­gun­gen ha­be und sonst al­le Kin­der und Ju­gend­li­chen in den Chö­ren mit­wir­ken kön­nen. Sie be­grün­de­ten dies so: „Stimm­bil­dung ist Mensch­bil­dung. Denn wer singt, der of­fen­bart sich von in­nen her, und da­zu ge­hört auch ei­ne in­ne­re Frei­heit und Hal­tung. Dies an­zu­er­zie­hen und zu über­tra­gen muß ei­nes mei­ner Zie­le sein.“ Und Sie prak­ti­zier­ten die­se of­fen­si­ve Hal­tung zur christ­li­chen Er­zie­hung in der DDR ge­nau­so wie heu­te. Die­se Kon­ti­nui­tät über die Jahr­zehn­te hat Tau­sen­de Ju­gend­li­che beim Er­wach­se­nen wer­den ge­prägt.

Sie wa­ren sich aber auch nicht zu scha­de zum Of­fe­nen Sin­gen für äl­te­re Chor­mit­glie­der und an­de­re äl­te­re San­ges­freu­di­ge ein­zu­la­den, um ge­löst und oh­ne je­den Leis­tungs­druck mit ih­nen zu mu­si­zie­ren.

Sie stan­den und ste­hen für To­le­ranz und Ver­ständ­nis. Und Ih­re Tä­tig­keit be­weist, dass die Ver­mitt­lung sol­cher Wer­te durch Mu­sik häu­fig nach­hal­ti­ger wirkt. An­dre­as Fla­de be­schrieb sei­ne drei­ßig­jäh­ri­gen Er­fah­run­gen mit Ih­nen so: „Mit vie­len Bi­bel­tex­ten ver­bin­den sich für mich heu­te Tö­ne. Oft klin­gen die Wor­te der Bot­schaft in mir. So wir­ken sie stär­ker und öff­nen sich wei­ter als nur ge­spro­che­ne Sät­ze. Sie las­sen den Trost hö­ren, den sie zu ge­ben ha­ben.

Was Sie ins­be­son­de­re in der Zeit der „Kir­che im So­zia­lis­mus“ ob nun in Kur­ren­de oder Cho­ral­chor mit auf den Weg ge­ge­ben ha­ben, ist si­cher­lich für vie­le erst spä­ter er­kenn­bar ge­wor­den. Ich den­ke beim Ehe­ma­li­gen­tref­fen 1997 - 20 Jah­re Cho­ral­chor - ha­ben Sie viel da­von er­fah­ren. Fröh­lich und mit gro­ßer Of­fen­heit für den geist­li­chen Hin­ter­grund der Kom­po­si­tio­nen ha­ben die Kin­der der Kur­ren­de und die Ju­gend­li­chen des Cho­ral­chors Kin­der­sing­wo­che und Sing­wan­de­rung er­lebt. Bei den Wan­de­run­gen mit den Vier­zehn- bis Zwan­zig­jäh­ri­gen bei ei­nem täg­li­chen Pen­sum von 14-20 km durch die meck­len­bur­gi­sche Land­schaft wa­ren die Auf­trit­te in Dorf- oder Klein­stadt­kir­chen im­mer wie­der Hö­he­punk­te. Wich­ti­ger aber war das Le­ben in der Ge­mein­schaft Gleich­ge­sinn­ter, ver­bun­den durch das ge­mein­sa­me In­ter­es­se: die Mu­sik.

Ei­ne Teil­neh­me­rin, Bri­git­te Schür­mann, er­in­nert sich an ei­ne Kin­der­sing­wo­che und be­schreibt dies sehr per­sön­lich:

„Ei­gent­lich kann man fast al­les, wo­zu sich al­so noch an­stren­gen? Der Re­gen pras­selt auf No­ahs Ar­che und klopft auf das Dach des Übungs­raums ... . Hil­fe­su­chend sieht „Eschi“ sich um, die Auf­merk­sam­keit ent­glei­tet ihm mehr und mehr, aber die Zeit drängt. Da ent­deckt er plötz­lich in der De­cke ei­ne klei­ne ge­schlos­se­nen Lu­ke und reckt sich zur gan­zen Län­ge, um die Lu­ke zu öff­nen.

Wie weg­ge­bla­sen ist die Mü­dig­keit! 45 Au­gen­paa­re ver­fol­gen wie ma­gisch an­ge­zo­gen je­de Be­we­gung, der Raum knis­tert vor Span­nung. Eschen­burg aber bückt sich ganz lang­sam zur Tisch­flä­che, sei­ne Hän­de for­men ei­ne Scha­le, be­hut­sam nimmt er das klei­ne graue Täub­chen aus sei­nem Nest, hebt es vor­sich­tig in Brust­hö­he, hält es dort mit ei­ner Hand und streicht ihm, lie­be­voll Ab­schied neh­mend, über das Köpf­chen. Die Tau­be ku­schelt sich noch ein­mal in ei­ne war­me Hand, zieht prü­fend ei­ne Fe­der durch den Schna­bel, reckt die ein­ge­ros­te­ten Flü­gel, dreht su­chend den Kopf, be­freit sich, vom Schwung sei­ner Ar­me un­ter­stützt, aus der En­ge der Ar­che und fliegt, fliegt!“

Sie, ver­ehr­ter Herr Eschen­burg, ha­ben vie­le Ju­gend­li­che nach be­hut­sa­mer und auch stren­ger Be­treu­ung die Hand zur Hil­fe ge­bo­ten, Mut ver­lie­hen und die so für die Zu­kunft ge­stärk­ten und ge­fes­tig­ten Per­sön­lich­kei­ten ins Le­ben ge­führt.

Na­tür­lich konn­ten Sie dies al­les nicht al­lein be­wäl­ti­gen. Da ist an ers­ter Stel­le Ih­re Frau Re­na­te zu nen­nen, die in vie­lem Ih­nen den Rü­cken frei ge­hal­ten hat und selbst im­mer wie­der Ih­re Ar­beit auf ver­schie­dens­te Wei­se un­ter­stützt hat.

Aus dem Kreis der „hilf­rei­chen Geis­ter“ darf ich ei­ni­ge nen­nen, die Sie sehr in­ten­siv über vie­le Jah­re un­ter­stützt ha­ben und die stell­ver­tre­tend für al­le ste­hen, die nicht ein­zeln er­wähnt wer­den kön­nen. Da­bei stellt die Rei­hen­fol­ge kei­ne Rang­fol­ge dar.

Kor­rep­ti­to­ren
Frau Keil, Frau Wieck, Frau Schie­mannn, Frau Gö­cke­ritz, Herr Prof. Gö­cke­ritz
Hel­fer bei der Cho­ral- und Kur­ren­de­ar­beit
Frau Ar­nold, Frau Dries­nack, Frau Voigt, Frau Heinz
Be­treu­ung der No­ten­bi­blio­thek
Frau Ha­mer, Frau Dr. Stel­ler
Kan­to­rei­ma­nage­ment
Frau Fied­ler, Frau Lep­pin, Frau Hasch­ke, Frau Dr. Schrö­der

Und nicht zu ver­ges­sen die Ver­ant­wor­tung für das Kan­ta­ten­or­ches­ter St. Jo­han­nis liegt bei Al­mut Eschen­burg.

Mit dem 31. Ja­nu­ar 2000 en­de­te Ih­re Dienst­zeit als Kan­tor St. Jo­han­nis. Es ist für mich ei­ne kon­ti­nu­ier­li­che Fort­set­zung Ih­rer Ar­beit, wenn Sie nun an un­se­rer Hoch­schu­le für Mu­sik und Thea­ter, für de­ren Grün­dung Sie sich so ve­he­ment ein­ge­setzt ha­ben, und die in ab­seh­ba­rer Zeit ihr neu­es wun­der­schö­nes Do­mi­zil in Be­sitz neh­men kann, wenn Sie an die­ser Hoch­schu­le nun wie­der­um jun­gen Men­schen, dies­mal Stu­den­tin­nen und Stu­den­ten, über ei­nen Lehr­auf­trag für Chor­di­ri­gie­ren und cho­ri­sche Stimm­bil­dung, das ver­mit­teln, was weit über ei­ne tech­ni­sche Aus­bil­dung hin­aus­geht. Es scheint fast selbst­ver­ständ­lich, dass im Bach­jahr die In­ter­pre­ta­ti­on von Bach­kan­ta­ten ein Schwer­punkt in die­sem Se­mes­ter ist.

Be­reits in reich­lich zwei Wo­chen wird hier im Ba­rock­saal ein Kon­zert mit Wer­ken von Jo­hann Se­bas­ti­an Bach un­ter Ih­rer Lei­tung mit Stu­die­ren­den der Hoch­schu­le statt­fin­den.

Mei­ne Da­men und Her­ren,

wir eh­ren heu­te hier ei­ne Per­sön­lich­keit des Ros­to­cker Le­bens, über de­ren Rang und über die Au­ßer­ge­wöhn­lich­keit sei­ner bis­he­ri­gen Le­bens­leis­tung ich hier nur bruch­stück­haft be­rich­ten konn­te.

Sie, sehr ver­ehr­ter Herr Eschen­burg, ha­ben sich um Ros­tock und sei­ne Men­schen ver­dient ge­macht. Lau­da­tio von Ober­bür­ger­meis­ter Ar­no Pö­ker an­lä­ß­lich der Ein­tra­gung in das Eh­ren­buch von Prof. Pe­ter Heid­rich am 28.04.2000

Sehr ge­ehr­ter Herr Prof. Heid­rich,
sehr ge­ehr­ter Herr Eschen­burg,
sehr ge­ehr­ter Herr Prä­si­dent,
mei­ne Da­men und Her­ren,

es war ein­mal... so be­gin­nen zahl­rei­che Mär­chen. Wer er­in­nert sich da nicht an die ei­ge­ne Kind­heit, an­ge­füllt mit Ge­schich­ten, wie dem Rot­käpp­chen, Ra­pun­zel oder dem Tap­fe­ren Schnei­der­lein? Für Sie, Herr Prof. Heid­rich sind Mär­chen „Schrit­te in ei­ne geis­tig-see­li­sche Welt.“ In der Ein­lei­tung, so mei­nen Sie, wird der Über­gang aus der Er­fah­rung der ge­gen­ständ­li­chen Welt des All­tags in die­se Welt im Mär­chen ri­tu­ell ge­stal­tet. Nun, könn­te man aber fra­gen, wie­so ist heu­te hier im Ba­rock­saal da­von die Re­de? Zu ei­ner Mär­chen­stun­de sind wir hier ja nicht zu­sam­men­ge­kom­men Zu­ge­ge­ben: Hier sol­len sich manch­mal ja auch mär­chen­haf­te Din­ge zu­tra­gen... Vor­hin hör­ten wir schon, wel­che Leis­tun­gen der Kir­chen­mu­sik­di­rek­tor voll­bracht hat, so dass man von ei­ner „Eschen­burg-Schu­le“ spre­chen kann. Ich bin si­cher, dass ich oh­ne Über­trei­bung sa­gen kann, dass Sie, ver­ehr­ter Herr Prof. Heid­rich, für ei­ne Men­ge Ros­to­cke­rin­nen und Ros­to­cker - und nicht nur Stu­die­ren­de - ein Ori­en­tie­rungs­punkt wa­ren.

Als Theo­lo­ge wirk­ten Sie über Jahr­zehn­te an der Ros­to­cker Uni­ver­si­tät. 1970 ha­bi­li­tier­ten Sie im Be­reich Re­li­gi­ons­ge­schich­te und Neu­em Tes­ta­ment. Sie ste­hen für die Ver­bin­dung von Theo­lo­gie, Phi­lo­so­phie und der Spra­che als dem „Haus des theo­lo­gi­schen, phi­lo­so­phi­schen und li­te­ra­risch-künst­le­ri­schen Den­kens“. Zu DDR-Zei­ten ha­ben Sie mit Ih­ren phi­lo­so­phi­schen Ar­beits­krei­sen Ge­ne­ra­tio­nen von Stu­den­ten ei­ne brei­te Bil­dung ver­mit­telt. Vie­le Zu­hö­rer emp­fan­den Ih­re Vor­trä­ge, in de­nen Sie die christ­lich-abend­län­di­sche und au­ßer­eu­ro­päi­sche Mensch­heits­ge­schich­te zu ver­mit­teln such­ten, als ei­ne Art Be­frei­ung. Men­schen, die der Uni­ver­si­tät ver­bun­den wa­ren oder an Ring­vor­le­sun­gen oder Vor­trä­gen im Licht­spiel Wun­der­voll teil­nah­men, al­so das Glück hat­ten, Ih­nen zu­hö­ren zu dür­fen, wa­ren fas­zi­niert. Fas­zi­niert von Ih­rem Um­gang mit Spra­che, von Ih­rem Witz, Ih­rem pro­fun­den Wis­sen. Nun, das ist wohl kei­ne „Heid­rich-Schu­le“, wohl aber ei­ne Art Sucht im po­si­ti­ven Sin­ne. Wer ein­mal da­von er­faßt ist, kommt nicht mehr los...

Ge­ra­de die Ver­bin­dung von Theo­lo­gie und Kunst mach­te Sie zum Freund und Be­ra­ter vie­ler Schrift­stel­ler, Dra­ma­tur­gen, Schau­spie­ler, Bal­lett­tän­zer, Mu­si­ker und Ma­ler. Be­son­ders her­vor­zu­he­ben ist da­bei na­tür­lich die Be­deu­tung, die Sie Mär­chen zu­bil­li­gen. In mei­nen Au­gen ma­chen Sie da­mit für vie­le Re­li­gi­on und Glau­ben auf ganz neue Wei­se er­leb­bar. So wie Eschen­burg vie­len Men­schen über die Mu­sik ei­ne Di­men­si­on des Glau­bens er­öff­ne­te, tun Sie es über Mär­chen, Kunst und Spra­che.

„Laß Dir die Spra­che sein, was der Kör­per den Lie­ben­den: Er nur ist’s, der die We­sen trennt und der die We­sen ver­eint“, so schrieb einst Schil­ler. Ich den­ke, Sie füh­ren ein­drucks­voll vor, dass Spra­che nicht nur Mit­tel der Kom­mu­ni­ka­ti­on ist, son­dern dass über Spra­che sich die wirk­li­chen we­sent­li­chen Din­ge des Le­bens er­schlie­ßen. Ihr Weg­ge­fähr­te Karl Schultz um­schreibt es so: „Spra­che will er­hört, er­lebt, emp­fun­den und auch ge­schaut wer­den. Und wer spricht, muß zu­vor schwei­gen, denn das Wort wird aus dem Schwei­gen ge­bo­ren.“ Er führt wei­ter aus, dass es ei­ne ganz an­de­re Spra­che ge­be, ei­ne ganz an­de­re Form der Ver­stän­di­gung...durch Ge­fühl und Bil­der. Denn da­mit, so den­ke ich, las­sen sich Tren­nen­des über­win­den und Gren­zen nie­der­rei­ßen. Und Schultz be­tont wei­ter: “Et­was We­sent­li­ches für Men­schen zu sa­gen ist nicht pri­mär ei­ne Sa­che des In­tel­lekts oder gar der Rhe­to­rik, son­dern es ist die Sa­che der er­grif­fe­nen und lie­ben­den Her­zen. Im­mer wird die Spra­che des Her­zens eher ver­stan­den als die Spra­che des Ver­stan­des, die Spra­che der De­mut und der Lie­be bes­ser als je­de Rhe­to­rik und je­des Pa­thos.“

Na, und? könn­te ein kühl ra­tio­na­ler Mensch fra­gen. Wir al­le müs­sen un­se­re per­sön­li­che Gret­chen­fra­ge be­ant­wor­ten: Wie be­geg­nen wir der Ge­fahr der völ­li­gen Sinn­ent­lee­rung? Un­se­re Ge­sell­schaft ist noch so auf­ge­klärt und den­noch un­ter­lie­gen wir al­le der Ge­fahr der Ver­zweif­lung. Ver­zweif­lung über ein Le­ben, das für uns kei­nen er­kenn­ba­ren Sinn hat. Sie, Herr Prof. Heid­rich, se­hen die­sen Sinn in dem christ­li­chen Glau­ben, ei­ner christ­li­chen Le­bens­freu­de, die der Welt zu­ge­wandt ist. Ih­re Bio­gra­phie zeigt, dass Ih­nen viel Kraft ab­ver­langt wur­de. Sie ha­ben in der DDR per­sön­li­che und be­ruf­li­che Be­nach­tei­li­gun­gen hin­neh­men müs­sen. Trotz ei­ner her­vor­ra­gen­den Ha­bi­li­ta­ti­on wur­de Ih­nen bis 1986 ei­ne Do­zen­tur ver­wei­gert. Und erst nach der Wen­de er­hiel­ten Sie ei­ne an­ge­mes­se­ne Pro­fes­sur. Das Bun­des­ver­dienst­kreuz, das Ih­nen 1997 ver­lie­hen wur­de, ist si­cher nicht nur spä­te Wür­di­gung. Wo­her, wenn nicht aus Ih­rem tief ver­wur­zel­ten Glau­ben, nah­men Sie die Kraft, ih­re ei­ge­nen Maß­stä­be so streng und kon­se­quent zu le­ben?!

In ei­nem In­ter­view mit An­ne­gret Kuhl be­grün­den Sie, dass ge­ra­de die Mär­chen zur Ent­wick­lung der In­di­vi­dua­li­tät an­re­gen: „Das Pro­blem der Ei­gen­stän­dig­keit wird uns Men­schen be­wu­ßt, wenn uns klar wird, wie sehr wir im Bann an­de­rer ste­hen, an­de­rer Men­schen, an­de­rer Mäch­te, der öf­fent­li­chen Mei­nun­gen, dass wir al­so nicht selbst le­ben, son­dern von ir­gend­wo­her ge­lebt wer­den. Wenn ei­nem das be­wu­ßt wird, steht man vor der Fra­ge, ob man re­si­gniert und sagt: „Das ist halt so. Wir un­ter­lie­gen po­li­ti­schen, ge­sell­schaft­li­chen und tech­ni­schen Zwän­gen. Die Zei­ten sind halt so“, oder ob man ganz tief in sich ent­deckt: Ich bin ei­gent­lich ein ver­wun­sche­ner Prinz, oder: Ich bin da­zu be­ru­fen, ein Kö­nig zu wer­den und ei­ne Prin­zes­sin zu ge­win­nen. Das hei­ßt ja doch, selbst­stän­dig zu sein, selbst zu le­ben. Die Mär­chen drü­cken das in die­sem Bild als ein An­ge­bot und ei­nen Im­puls aus. Sie drü­cken es so aus, dass ich die­se in mir schlum­mern­de Wirk­lich­keit ent­de­cke, we­cke und stär­ke. Dass es nicht im­mer das ein­fachs­te von der Welt ist, selbst­stän­dig zu sein, dass Frei­heit auch den As­pekt der Ein­sam­keit, des Al­lein­seins in sich birgt, dar­über las­sen die Mär­chen kei­nen Zwei­fel.“ So­weit Ih­re Er­klä­rung für die Be­deu­tung von Mär­chen in der Mo­der­ne.

Mei­ne Da­men und Her­ren,

ich ha­be mir er­laubt, Prof. Heid­rich aus­führ­li­cher zu zi­tie­ren. Auch da­mit, so den­ke ich, lä­ßt sich ver­mit­teln, wel­che Be­deu­tung Sie, Herr Prof. Heid­rich für uns Ros­to­cke­rin­nen und Ros­to­cker ha­ben. Ich hof­fe, dass Sie uns mit Ih­rer um­fas­sen­den Bil­dung wei­ter An­re­gun­gen ge­ben. Da­für wün­sche ich Ih­nen bes­te Ge­sund­heit und En­er­gie.

Es bleibt ja da­bei: den un­be­darf­ten Mär­chen­lieb­ha­ber prägt sich der klas­si­sche Mär­chen­be­ginn: „Es war ein­mal“ gut ein. Ge­nau­so prä­sent ist uns das klas­si­sche En­de ei­nes Mär­chens. Las­sen Sie mich das heu­te ein we­nig ab­wan­deln und sa­gen: „Und wenn wir wei­ter emp­fäng­lich blei­ben, so lau­schen wir den An­re­gun­gen von Prof. Heid­rich noch heu­te.“

Vie­len Dank.