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Na­vi­ga­ti­on

Vor sech­zig Jah­ren ...

Pres­se­mit­tei­lung vom 22.04.2002

22. April 2002

Vor sech­zig Jah­ren ...
Er­in­ne­run­gen an die Bom­ben­näch­te vom April 1942

„Es war am Mor­gen des 26. April 1942. Drei Näch­te hin­ter­ein­an­der wa­ren die Bom­ben ge­fal­len. Je­de Nacht wa­ren die Flug­zeu­ge um ein Uhr ge­kom­men. Die Häu­ser um die Ma­ri­en­kir­che brann­ten fast al­le, zum Teil wa­ren sie schon her­un­ter­ge­brannt. Der Kirch­turm war durch die vie­len Rauch­wol­ken, die über der Stadt la­gen, ver­hüllt. Plötz­lich kam ein Wind­stoß. Da­durch wur­de der Turm sicht­bar und wir ent­deck­ten ent­setzt, dass es in der Turm­la­ter­ne brann­te. Durch Fun­ken­flug hat­te es ge­zün­det...“

Mit die­sen Wor­ten be­ginnt der da­ma­li­ge Turm­die­ner der St.- Ma­ri­en- Kir­che Fried­rich Bom­bow­ski (1888-1961) sei­nen Be­richt über die Bom­ben­an­grif­fe auf un­se­re Stadt im April 1942. Er schil­dert dann auf den fol­gen­den Zei­len und Sei­ten, wie er selbst, sei­ne Toch­ter Ur­su­la und ei­ni­ge an­de­re be­herz­te Hel­fer den Kampf ge­gen die Flam­men im Dach­stuhl und Turm­ge­bälk der Kir­che auf­nah­men und die­se schlie­ß­lich ret­ten konn­ten. Aus je­dem sei­ner Wor­te spürt der Le­ser die auf­op­fe­rungs­vol­le Lie­be die­ses Man­nes zu „sei­ner Kir­che“ und auch zu sei­ner Stadt Ros­tock, in der da­mals meh­re­re hun­dert Men­schen den Bom­ben zum Op­fer fie­len und vie­le Tau­send ihr Dach über dem Kopf ver­lo­ren. Das al­les liegt nun ge­nau 60 Jah­re zu­rück. Vie­le der tie­fen Wun­den, die un­se­rer Stadt durch die Bom­ben zu­ge­fügt wur­den, sind in­zwi­schen ver­heilt, ver­narbt, ver­bor­gen, über­deckt, ver­schwun­den oder auch schon ver­ges­sen. Um­so mehr ist all je­nen zu dan­ken, die seit ei­ni­gen Jah­ren ver­su­chen, die Er­in­ne­rung an das, was da­mals ge­schah, le­ben­dig zu er­hal­ten. Ich den­ke da an die Au­to­ren, die durch die Her­aus- ga­be von reich il­lus­trier­ten Bü­chern. Vor­trä­ge oder Aus-stel­lun­gen das Bild des al­ten Ros­tock, der zer­stör­ten Stadt und des heu­ti­gen Ros­tock dar­stel­len und dar­an er­in­nern hel­fen, was wir ge­habt und ver­lo­ren ha­ben. Was wir aber auch ha­ben neu schaf­fen dür­fen. Ich den­ke da­bei auch an die en­ga­gier­ten Bür­ge­rin­nen und Bür­ger un­se­rer Stadt, die zum Bei­spiel in den ver­schie­de­nen För­der­ver­ei­nen tä­tig sind und sich ak­tiv für den Er­halt oder die Wie­der­hers­tel-lung solch wert­vol­ler Ge­bäu­de wie die St.-Ma­ri­en- Kir­che und den Kirch­turm von St. Pe­tri ein­ge­setzt ha­ben bzw. noch lau­fend ein­set­zen.

Ins­be­son­de­re auch an die­je­ni­gen, die nicht lo­cker las­sen, den seit vie­len Jah­ren ver­spro­che­nen, aber im­mer wie­der hin­aus­ge­scho­be­nen Neu­bau ei­nes Thea­ters zu for­dern. Was war das doch für ein präch­ti­ger Bau! Das Stadt­thea­ter vor dem Stein­tor. Es konn­te sich durch­aus ne­ben den be­deu­ten­den Büh­nen­häu­sern Deutsch-lands se­hen las­sen. Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler, Sän­ge­rin­nen und Sän­ger, Di­ri­gen­ten, So­lis­ten von in­ter­na­tio­na­lem Ruf ha­ben hier ge­wirkt oder gas­tiert. Durch die in­ten­si­ve Pfle­ge der Wer­ke Ri­chard Wag­ners ge­noss Ros­tock den Ruf, das „Bay­reuth des Nor­dens“ zu sein... Das al­les in ei­ner Bom­ben­nacht in Schutt und Asche ge­legt! Un­wie­der­bring­lich da­hin!

Oder den­ken wir an die St.-Ja­ko­bi-Kir­che: Ihr ho­hes Kir­chen­schiff und der mäch­ti­ge Turm­helm präg­ten die Sil­hou­et­te der Stadt ganz ent­schei­dend. Ab­ge­se­hen von der wert­vol­len Ar­chi­tek­tur und der kost­ba­ren Aus­stat­tung im In­nern: Aus­ge­brannt und ver­kohlt stand die­ser Kirch­bau mit­ten in un­se­rer Stadt. Er­hät­te wie­der in­stand ge­setzt wer­den kön­nen, wenn nicht durch die un­ver­ant­wort­li­che Spren­gung des Luft­schutz­bun-kers, der di­rekt ne­ben ihm stand, die noch sehr sta­bi­len Sei­ten-wän­de und Ge­wöl­be zum Ein­sturz ge­bracht wor­den wä­ren. Den Rest be­sorg­ten dann ei­ni­ge ideo­lo­gisch ver­blen­de­te Fa­na-ti­ker, de­nen auch noch der Turmstumpf und die Res­te des Ost­cho­res ein Dorn im Au­ge wa­ren. Aus Stei­nen der St.-Ja­ko­bi-Kir­che wur­de die St.-Jo­han­nis-Kir­che im Bar­n­stor­fer Wald ge­baut. So lebt sie in ih­rer klei­ne­ren Toch­ter wei­ter. Auf dem ehe­ma­li­gen Platz der St.-Ja­ko­bi-Kir­che soll ei­ne Ge­denk­stät­te ent­ste­hen. Das ist ei­ne gu­te Idee, die hof­fent­lich bald ver­wirk­licht wer­den wird. Ein Thea­ter-Neu­bau ist uns vor der Ober­bür­ger­meis­ter-wahl fest ver­spro­chen wor­den. Wir er­war­ten von der Bür­ger-schaft, dass den Wor­ten nun auch end­lich Ta­ten fol­gen wer­den.

Als am 13. No­vem­ber 1994 die Spit­ze des neu­en Turm­helms von St. Pe­tri von ei­nem rie­si­gen Kran auf­ge­setzt wur­de, sag­te ein al­ter Ros­to­cker, der zwi­schen den vie­len Zu­schau­ern stand: „Nun ist der zwei­te Welt­krieg wirk­lich zu En­de!“. Manch ei­ner mag das an­ders se­hen. Da wä­re noch so et­li­ches zu tun...! Die Men­schen, die da­mals un­ter den Trüm­mern der Stadt be­gra­ben wur­den, kann nie­mand von uns wie­der le­ben­dig ma­chen. Ih­re Ge­denk­stät­te auf dem Neu­en Fried­hof wird von „der öf­fent­li­chen Hand“ ge­pflegt. Wie aber steht es um das „Ge­den­ken“? Un­se­rer Ju­gend soll­ten wir er­zäh­len, wie es war, nüch­tern und wahr­heits­ge­mäß und da­bei nicht ver­ges­sen: Zu­erst fie­len deut­sche Bom­ben auf eng­li­sche Städ­te (Im Au­gust 1940 auf Lon­don, im No­vem­ber auf Co­ven­try...) Dann erst eng­li­sche Bom­ben auf deut­sche Städ­te (28. März 1942 auf Lü­beck, 23. April 1942 auf Ros­tock...).

Die Zer­stö­rung un­se­rer Stadt vor sech­zig Jah­ren soll­te uns An­lass zur Er­in­ne­rung, zur Be­sin­nung und zur Hoff­nung sein. Nur wer um sei­ne Ver­gan­gen­heit weiß, kann die Zu­kunft ge­stal­ten. Ul­rich Na­th  i