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Na­vi­ga­ti­on

Wir sind wie ei­ne gro­ße Fa­mi­lie

Pres­se­mit­tei­lung vom 25.01.1999



Die neue Kör­per­be­hin­der­ten­schu­le in der Sem­mel­weis­stra­ße bie­tet mehr an als Un­ter­richt

Es es ist Pau­se in der neu­en Schu­le für Kör­per­be­hin­der­te in der Sem­mel­weis­stra­ße. Die ers­te Un­ter­richts­stun­de ist vor­bei. Aus­ge­las­sen to­ben und spie­len die Kin­der auf den Gän­gen. La­chen und Stim­men­ge­wirr drin­gen aus den Räu­men nach au­ßen. Äl­te­re Schü­ler sit­zen in den Ru­he­räu­men und un­ter­hal­ten sich. Es riecht nach Brat­äp­feln. Die Kin­der und Ju­gend­li­chen tol­len auch in ih­ren Roll­stüh­len oder an Krü­cken so frei her­um, daß ih­re Han­di­kaps erst auf den zwei­ten Blick deut­lich wer­den. "Die An­la­ge wur­de so an­ge­legt, da­mit sich die kör­per­be­hin­der­ten Schü­ler schran­ken­los über­all be­we­gen kön­nen", un­ter­streicht der Di­rek­tor der Schu­le Karl-Heinz War­nack. Ge­lun­gen ist dies durch ei­ne en­ge Zu­sam­men­ar­beit al­ler Be­tei­lig­ten schon seit der Pla­nungs­pha­se. Sämt­li­che Bau­maß­nah­men be­rie­ten und be­ra­ten Hoch­bau­amt, Ar­chi­tek­ten­bü­ro, Schul­ver­wal­tungs­amt, Be­hin­der­ten­ver­band und Schu­le ge­mein­sam. Ne­ben der be­reits im Au­gust 1998 er­öff­ne­ten Schu­le, sol­len hier bis zum Som­mer die­ses Jah­res noch Schwimm­hal­le, Turn­hal­le und ein The­ra­pie­zen­trum ent­ste­hen. Für den Schul­kom­plex in der Sem­mel­weis­stra­ße sind ins­ge­samt In­ves­ti­tio­nen in Hö­he von 24 Mil­lio­nen Mark ge­plant. Die Ge­bäu­de kom­men den Be­dürf­nis­sen der kör­per­be­hin­der­ten Schü­ler voll und ganz ent­ge­gen. Die Schu­le ist ein ein­stö­cki­ger un­för­mi­ger Flach­bau. Da be­hin­dern we­der Stu­fen noch Ab­sät­ze, pro­blem­los kom­men die Kin­der über­all hin. Die Tür­grif­fe sind nied­ri­ger und auch für Roll­stuhl­fah­rer greif­bar, eben­so die Licht­schal­ter und Wasch­be­cken. Al­les er­scheint wie aus ei­ner an­de­ren Welt und lä­ßt an­ge­sichts der un­zäh­li­gen im vor­aus be­dach­ten Klei­nig­kei­ten, die all­täg­li­chen Schwie­rig­kei­ten von Be­hin­der­ten nur er­ah­nen. Die Klas­sen­räu­me sind je nach Fach­rich­tung ein­ge­rich­tet und tech­nisch her­vor­ra­gend aus­ge­stat­tet. Im Bio­lo­gie­raum ha­ben sich die Mi­kro­sko­pe im Tisch "ver­steckt" und kön­nen bei Be­darf her­aus ge­fah­ren wer­den. Das Com­pu­ter­ka­bi­nett ist wie bei al­len Kin­der auch hier sehr be­liebt. In der na­gel­neu­en Kör­per­be­hin­der­ten­schu­le ler­nen ge­gen­wär­tig 127 Jun­gen und Mäd­chen in 15 Klas­sen. Die zwi­schen sechs und 18 Jah­re al­ten Kin­der wer­den von 20 Leh­rern und et­li­chen Er­zie­hern, Pfle­gern, Zi­vis und Mit­ar­bei­tern be­treut. Je nach Fä­hig­kei­ten und Leis­tun­gen kann ein Haupt- oder Re­al­schul­ab­schluß ab­ge­legt wer­den. Der Schul­be­trieb läuft wie in je­der Re­gel­schu­le auch. Vier bis sechs Stun­den Un­ter­richt sind die Re­gel. Nur die Pau­sen sind et­was län­ger, da vie­le ne­ben­bei noch be­treut wer­den müs­sen. Sie wer­den bei­spiels­wei­se vom Stuhl in den Roll­stuhl ge­setzt oder auf die Toi­let­te be­glei­tet.

Im Vor­der­grund des Lehr­plans ste­hen ne­ben der Ver­mitt­lung von Un­ter­richts­stoff vor al­lem die Er­hö­hung der Le­bens­ens­qua­li­tät so­wie die Ver­bes­se­rung der Mo­bi­li­tät der Kin­der. Da­her ist die Schu­le hier nach dem Mit­tag-es­sen noch nicht be­en­det. Die Be­treu­ung er­folgt täg­lich von 7 bis 15.30 Uhr. Für je­den Schü­ler gibt es ei­nen in­di­vi­du­el­len För­der­plan, der ei­ne sehr per­sön­li­che Be­treu­ung zu­lä­ßt. So lä­ßt sich auch die recht en­ge Bin­dung von Schü­lern, Leh­rern und Mit­ar­bei­tern er­klä­ren. "Wir sind wie ei­ne gro­ße Fa­mi­lie", schätzt Dia­na Bö­ken­hau­er ein, die die sie­ben­te Klas­se be­sucht. Sie und al­le an­de­ren Kin­der füh­len sich in dem neu­en
Haus in der Sem­mel­weis­stra­ße ein­fach wohl. Sie freu­en sich be­son­ders, daß sie nun al­le zu­sam­men in ei­nem Haus ler­nen kön­nen. Frü­her wa­ren die Räum­lich­kei­ten der Kör­per­be­hin­der­ten­schu­le über die gan­ze Stadt ver­teilt, das Haupt­ge­bäu­de be­fand sich in der Ul­men­stra­ße. Die Schü­ler blie­ben oft den gan­zen Tag in ei­nem Raum. "Heu­te kom­men wir zu den Leh­rern in die je­wei­li­gen Fach­räu­me, frü­her mu­ß­ten sie zu uns kom­men", fügt der 14jäh­ri­ge Mar­cel Plau­mann hin­zu. Al­lein das macht die Kin­der viel frei­er, un­ab­hän­gi­ger und selb­stän­di­ger.

Am Nach­mit­tag, nach dem ei­gent­li­chen Un­ter­richt, bie­tet die Schu­le noch zahl­rei­che Ver­an­stal­tun­gen und Kur­se an. Die Kin­der kön­nen am Key­board sit­zen, Roll­stuhl­bas­ket­ball spie­len und bas­teln. Be­son­ders be­gehrt ist der Ke­ra­mik­raum, der von früh bis spät be­setzt ist. Vom Mo­del­lie­ren bis zum Bren­nen neh­men die Kin­der al­les in die ei­ge­nen Hän­de. Wich­tig sind die Gym­nas­tik und ge­son­der­te The­ra­pie­maß­nah­men. Künf­tig wer­den da­für auch ent­spre­chen­de Räum­lich­kei­ten zur Ver­fü­gung ste­hen, die die Be­tä­ti­gungs­mög­lich­kei­ten mit Schwimm­hal­le und Turn­hal­le noch er­wei­tern. Sie sind noch im Bau. Da­mit die­se Mög­lich­kei­ten am spä­ten Nach­mit­tag nicht un­ge­nutzt blei­ben, steht die Schu­le von An­fang auch den An­woh­nern of­fen. In­ter­es­sen­ver­bän­de und Ver­ei­ne füh­ren hier Ver­an­stal­tun­gen durch, auch die Sport­stät­ten sol­len öf­fent­lich nutz­bar sein. Mit ei­nem Thea­ter­pro­jekt und der mit ei­ner an­de­ren Ros­to­cker Schu­le ge­mein­sam or­ga­ni­sier­ten Weih­nachts­fei­er war im letz­ten Jahr schon ein An­fang ge­macht. Al­le Kin­der konn­ten ge­mein­sam spie­len, fei­ern und es­sen. Apro­pos Es­sen. Das schmeckt im­mer und es duf­tet oft nach le­cke­ren Sa­chen, die die Kin­der auch mal selbst ko­chen. "Nicht wie frü­her, da roch al­les im­mer nach Des­in­fek­ti­ons­mit­tel", er­in­nert sich Mar­cel, der schon die al­te Kli­nik­schu­le be­such­te. An­dre­as Wa­gen­knecht